Bis zum Jahr 2010 sollen Berufsabschlüsse in der EU vergleichbar sein. Schulisches Wissen wird überbewertet, meinen sowohl Gewerkschafter als auch Arbeitgeber in Deutschland

Krankenpfleger Jan zieht der Liebe wegen nach Göteborg, Bankkauffrau Jasmin will in London ins Investment-Banking einsteigen, und der Elektroniker Bertie will zu Airbus nach Toulouse. Im Prinzip ist Europas Arbeitsmarkt grenzenlos. Ungelöst ist aber die gegenseitige Anerkennung von Berufsbildungsabschlüssen - und die sind entscheidend für die Bezahlung. Mit einem "Berufsbildungs-PISA" wollen euro- päische Bildungspolitiker einen gro-ßen Schritt in Richtung Vergleichbarkeit machen.

Europas nicht-akademische Bildungslandschaft gleicht einem Flickenteppich. In einigen Ländern suchen sich die Schulabgänger einen Arbeitsplatz und pauken berufliches Grundwissen in Abendschulen. Anderswo erlernen sie die Theorie in Fachschulen und absolvieren betriebliche Praktika. In Deutschland und Österreich erlernen Azubis ihren Beruf im dualen System. Somit sind die Ausbildungsabschlüsse in den 27 Mitgliedsstaaten kaum vergleichbar.

Ende 2006 beschlossen die EU-Bildungsminister deshalb den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) und ein Europäisches Leistungspunktesystem (ECVET), um mehr Transparenz zu schaffen. "Lernergebnisse sollen messbar, grenzübergreifend bewertbar und in Form von Leistungspunkten sichtbar gemacht werden", argumentiert Bundesbildungsministerin Annette Schavan. So könnte das Berufsbildungs-PISA unter anderem einen Anhaltspunkt liefern, wo die Berufsausbildungen in der achtstufigen Referenzskala jeweils einzusortieren sind.

Messmethode umstritten

Eine Forschergruppe unter dem Göttinger Soziologen Martin Baethge hat dazu eine Machbarkeitsstudie vorgelegt, die mögliche Messinstrumente für ein Berufsbildungs-PISA auflistet. Exemplarisch sollen vier Berufe verglichen werden: Kfz-Mechatroniker im Handwerk, industrieller Elektroniker, Bankkauffrau/mann und Krankenpfleger.

Das Vorhaben ist umstritten. Berufsbildungsexperten von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden befürchten, dass die Messinstrumente schulisches Wissen höher bewerten als betrieblich vermittelte Handlungskompetenz. "In anderen Ländern lernen die Jugendlichen, wie ein Automobil funktioniert, in der dualen Berufsausbildung lernen sie zusätzlich, dieses Automobil auch wirklich zu reparieren", so ein Ausbilder. Entscheidend für die Berufsausübung sei aber die Einheit von Fach, Sozial- und Humankompetenz. Wie etwa soll die Qualität eines Kundengespräches im kaufmännischen Beruf gemessen und bewertet werden? "Auch die enge Verzahnung der Ausbildungsorte Betrieb und Berufsschule wird mit diesen Messinstrumenten nicht abgebildet", moniert ver.di-Bildungsexpertin Uta Kupfer. ver.di drängt zu Korrekturen, damit das Berufsbildungs-PISA nicht zum Waterloo für die duale Berufsausbildung wird.

Auch der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) übt Kritik: "Die hier gewählte Hilfskonstruktion zur Messung beruflicher Kompetenzen legt noch zu sehr den Schwerpunkt auf schulisch beziehungsweise lehrgangsmäßig erworbenes Wissen. Umfassende berufliche Handlungskompetenz kann mit den vorgelegten Instrumenten bislang noch nicht erfasst werden." Und: "Ein Großteil der für Deutschland typischen dualen Ausbildung findet im Betrieb im Rahmen von modernen Arbeits- und Geschäftsprozessen statt. Verfahren, die geeignet wären, die Ergebnisse dieser Lernprozesse zu bewerten, sind bisher unterentwickelt."

Die Zeit für Änderungen drängt: Der EQR soll 2010 realisiert und die Vergleichsergebnisse müssten dann bereits eingeflossen sein.G. Lange