ver.di betreibt zehn Bildungsstätten. Im Angebot sind nicht nur Kurse für Betriebsräte. Jedes Mitglied kann politische Seminare belegen oder Konfliktmanagement üben – und das kostenlos

Von Annette Jensen

In den ver.di-Bildungsstätten probieren Seminarteilnehmer Neues aus

Im Alltag verkauft Andrée Heller Bücher im Hamburger Bahnhof. Jetzt lauscht der Mann mit dem roten Ché Guevara T-Shirt einem Kabarettisten aus den Wirtschaftswunderjahren, der über seine "perlonverstärkte Geliebte" erzählt. Später erscheinen auf der Leinwand ein paar Studenten aus der 68er-Zeit, die mit ihrer stakkatoartigen Agitation sehr moralisch wirken. "Es ist interessant, sich intensiv mit den Texten auseinander zu setzen. Man kriegt dadurch viel mit über die damalige Zeit", sagt der 38-Jährige. Auch Karsten Pae-tzold, Pressesprecher einer hessischen Kommune, ist angetan. "Solche Seminare sind oft die einzige Möglichkeit, sich aus Arbeitnehmersicht mit Kultur und Internationalem zu beschäftigen." Deshalb dürfe hier auch auf keinen Fall noch weiter gespart werden, betont der 55-Jährige.

Austausch mit Kollegen aus anderen Branchen

Jedes Jahr findet in der Berliner ver.di-Bildungsstätte Clara Sahlberg - nach der antifaschistischen Gewerkschafterin benannt - ein Seminar über die Geschichte des Kabaretts seit den 50er Jahren statt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus der ganzen Republik und aus allen ver.di-Fachbereichen: Vom Straßenbahnfahrer über die Krankenschwester bis zur Rentnerin ist alles vertreten. "Den Austausch mit Kollegen aus anderen Berufen finde ich sehr wichtig", sagt Jürgen Olschimke, Postler aus Kelkheim. Er ist zum ersten Mal bei einem ver.di-Seminar. Sieglinde Polzer ist das Veranstaltungsprogramm durch Zufall in die Hand gefallen: "Ich wusste vorher nicht, dass es solche Angebote für alle Mitglieder gibt", erzählt die 66-Jährige aus Chemnitz. Zu DDR-Zeiten hat sie selbst im Laienkabarett mitgespielt.

Von Sonntag bis Freitag dauert der Kurs: Die 21 Teilnehmer schauen Videos, besprechen Texte, diskutieren und spielen sich in Kleingruppen einige Sequenzen gegenseitig vor. Abends fahren sie auch zu Live-Aufführungen in die Berliner Innenstadt. "Es soll ein lebendiges Bild entstehen, wie sich das Kabarett entwickelt hat und wie sich die jeweilige Zeit darin spiegelt", fasst Seminarleiter und Kabarettist Bruno Schollenbruch zusammen.

Insgesamt hat ver.di in ihren zehn Bildungsstätten 950 Kurse im Programm. Ein knappes Drittel davon richtet sich an "Normalmitglieder", die in der Regel ihren Bildungsurlaub dafür verwenden. Finanziert und durchgeführt werden diese Angebote von der gemeinnützigen Gesellschaft Gewerkschaftspolitische Bildung. Die wird aus Tantiemen gefördert, die Gewerkschafter für ihre Arbeit in Aufsichtsräten erhalten. Im Angebot sind so unterschiedliche Themen wie der Nahe Osten, Argumentationstraining gegen Stammtischparolen oder Telearbeit.

Die Nachfrage ist groß und oft können nicht alle Anmeldungen berücksichtigt werden. "Wir gucken dann, dass die Mischung stimmt in Bezug auf Alter und Fachbereiche", berichtet Matthias Sokolean, einer der Seminarorganisatoren an der Bildungsstätte Clara Sahlberg. Auch wer noch nie dabei war, hat bessere Chancen als jemand, der schon mehrere Kurse besucht hat.

Außerdem finden am Wannsee Schulungen für Betriebs- und Personalräte statt, für die Arbeitgeber zahlen müssen. Darüber hinaus gibt es Kurse für ehrenamtlich aktive Gewerkschafter, für die ver.di die Kosten trägt. Gerade läuft zum Beispiel der dritte Baustein zum Thema "Soziale Kompetenz". Wie führe ich Verhandlungen, wie leite ich eine Gruppe, wie setze ich mich durch? "So etwas kann man sich nicht anlesen, das muss man erfahren", sagt Nadja Gabriel aus Hanau, Teamerin in der ver.di-Bildungsarbeit. Was sie bei den ersten beiden Kursbausteinen gelernt hat, probierte die 33-Jährige bereits im Alltag aus. Nun berichtet sie ihren Kollegen, was geklappt hat und woran es noch hapert.

Vieles kann man sich nicht allein anlesen

Auch im Programm für die allgemeine Mitgliedschaft gibt es Angebote zur Persönlichkeitsbildung. Eben hat Coach Jürgen Siebers einen pantomimisch angereicherten Vortrag über Kommunikation gehalten - nun sollen die 16 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kurses "Konfliktmanagement" eine bestimmte Technik selbst ausprobieren. Es geht darum, in einer Diskussion zunächst das Argument des Kontrahenten mit eigenen Worten zu wiederholen, um dann selbst die Gegenposition zu vertreten. Pendlerpauschale, Rauchverbot in Kneipen - die Dreiergruppen debattieren fleißig. Anschließend tragen sie die Erfahrungen zusammen und überlegen, was eine solche Kommunikationsform bewirkt und wann sie sinnvoll ist. "Ich hab besser zugehört, was der andere gesagt hat", berichtet eine Frau. Ein junger Mann meint: "Ab und zu kann man damit bestimmt den Redeschwall von jemandem bremsen." Ein dritter hält dagegen:"Mein Chef würde mich sofort fragen: Sind sie mein Echo?" Noch eine Weile lang wird diskutiert, dann geht es weiter mit der Frage, welche Form von Fragen es gibt.

"Ich finde es positiv, dass hier Theorie und Praxis zusammenkommen und ich mal Zeit habe, mich in Ruhe mit etwas zu beschäftigen", bilanziert die Sozialarbeiterin Carolin Prange. Thomas Preusche vom Deutschen Wetterdienst ist überzeugt, seine neuen Kenntnisse im Betrieb nutzen zu können. "Bei uns gibt es wegen Umstrukturierungen Spannungen," sagt der 34-Jährige. "Da ist es gut, wenn man ein bewusster Gesprächspartner ist."

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