Arbeit auf dem Friedhof als Teil der christlichen Dienstgemeinschaft

In Deutschland regeln die christlichen Kirchen die Arbeitsbedingungen ihrer 1,3 Millionen Beschäftigten selbstbestimmt. So will es das Grundgesetz. Betriebsräte? Mitbestimmung? Streikrecht? Fehlanzeige

Die Richter ließen keinen Zweifel: Wie die diakonische Einrichtung Bremen Friedehorst mit Mitarbeitern umging, war illegal. Wer dort ab 2005 eingestellt wurde, bekam nur noch einen Vertrag bei einer kircheneigenen Leiharbeitsfirma - und bis zu 30 Prozent weniger Geld als die Kollegen. Das geht nicht, so das Urteil. Für gleiche Arbeit müsse gleicher Lohn gezahlt werden, alles andere widerspreche der Idee der christlichen Dienstgemeinschaft.

Die Freude der Beschäftigten in den Alten-, Behinderten- und Pflegeeinrichtungen von Friedehorst über das höchstrichterliche Urteil währte nur kurz. "Wir haben Recht bekommen, aber das Recht kann nicht durchgesetzt werden," sagt Bernd Rautenberg, Vorsitzender der Gesamtmitarbeitervertretung. Zwar erhielten zwei am Prozess beteiligte Kollegen anschließend einen akzeptablen Vertrag. Doch an der Praxis mit den Leiharbeitsfirmen in Friedehorst hat sich nichts geändert. Zusätzlich haben die Geschäftsführer die Situation sogar weiter verschärft, indem sie die Einrichtung in viele kleinere Unternehmen zerlegten, damit es die 1400 Beschäftigten schwer haben, sich zu organisieren. Doch der Widerstand wächst. Zusammen mit einigen Kollegen hat Rautenberg im Oktober eine Petition beim Bundestag eingereicht. Sein Ziel ist nichts Geringeres als eine Grundgesetzänderung.

Seit der Weimarer Republik genießen die christlichen Kirchen in Deutschland große Privilegien. Das Grundgesetz garantiert ihnen ein Selbstbestimmungsrecht, was ihre Arbeitsbedingungen angeht. Deshalb gilt für die 1,3 Millionen Menschen, die in Kirchensekretariaten, auf Friedhöfen, in diakonischen Kitas oder Caritas-Krankenhäusern arbeiten, das Betriebsverfassungsgesetz nicht - und folglich dürfen sie auch keine Betriebs- und Personalräte wählen. Bei arbeitsrechtlichen Konflikten, die nicht nur einzelne Beschäftigte betreffen, ist die kirchliche Gerichtsbarkeit zuständig.

Streik nicht in Gottes Plan

Dahinter steht die Vorstellung, dass es unter Gottes Dach keinen grundsätzlichen Gegensatz zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen gibt, sondern eine "Dienstgemeinschaft" einträchtig im Geist der Nächstenliebe und des Evangeliums handelt. Also existieren so gut wie keine Tarifverträge mit Gewerkschaften. Auch das Streikrecht gilt den Kirchen als wesensfremd. Stattdessen entwickeln paritätisch besetzte Kommissionen das Arbeitsvertragsrecht (AVR) und regeln die Lohnfragen. Zwar existieren auch in den kirchlichen Einrichtungen gewählte Mitarbeitervertretungen. Doch deren Position ist wesentlich schwächer als die von Betriebsräten. Das alles nennen die Kirchen "den dritten Weg".

Bis vor ein paar Jahren interessierte sich kaum jemand für die schwache rechtliche Position der Beschäftigten. Dabei gab es immer wieder Urteile, die einem freigeistigen Menschen übel aufstoßen müssen. So entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die katholische Kirche Leute kündigen darf, weil sie zum zweiten Mal heiraten oder private Leserbriefe zum Thema Abtreibung verfasst haben. Doch weil die Kirchen sich ansonsten an die Tarifabschlüsse des öffentlichen Dienstes (ÖD) anhängten, sah die Mehrheit der Beschäftigten wenig Probleme.

Auch den Arbeitgebern ging es gut. 1961 hatten die Kirchen durchgesetzt, dass sie und private Träger per Gesetz Vorrang genießen, wenn es darum geht, "kranke, gebrechliche und pflegebedürftige Menschen zu pflegen, zu betreuen, zu trösten und im Sterben zu begleiten." Die öffentlichen Kassen zahlten - und so entstanden bei den Wohlfahrtsverbänden viele neue Einrichtungen.

Doch vor allem bei der evangelischen Kirche ist seit einer Weile Schluss damit. Nachdem der Staat in der Altenpflege und bei Krankenhäusern immer stärker auf Wettbewerb setzt, versucht die Diakonie, sich über schlechte Arbeitsbedingungen Konkurrenzvorteile zu verschaffen. Für un- und angelernte Kräfte führte sie bereits 1998 Niedriglohngruppen ein. Seit der neue Tarifvertrag im ÖD gilt, hat sich die Kirche völlig abgekoppelt. Überall entstehen arbeitsrechtliche Kommissionen, die oft ganz eigene Vertragsgrundlagen schaffen. "Die Zersplitterung nimmt rasant zu", beschreibt ver.di-Sekretärin Renate Richter die Entwicklung.

Vielerorts bedeutet das Dumping. "Statt sich so zu verhalten, wie sie es in ihren sozialpolitischen Erklärungen fordert, und auf Qualität zu setzen, ist die Diakonie beim Wettlauf um die niedrigsten Löhne vorn dran," sagt Erhard Schleizer, Vorsitzender der Mitarbeitervertretung der Diakonie in Hessen-Nassau. Outsourcing ist groß in Mode. Nachdem es dank Hartz-Gesetze seit 2004 erlaubt ist, Leiharbeiter auf Dauer zu beschäftigen, haben diakonische Einrichtungen hunderte entsprechender Firmen gegründet.

Vor allem die evangelische Aktiengesellschaft Agaplesion ist Vorreiter, wenn es gilt, Wettbewerbsvorteile durch schlechte Arbeitsbedingungen zu erreichen. Besonders krass ist der Fall des Altenheims Haus Saalburg in Frankfurt/Main, wo es außer der Geschäftsführung und Pflegedienstleitung kein festes Personal mehr gibt. Und wenn sich in einem gewerblichen Tochterunternehmen ein Betriebsrat gründen will, tut Agaplesion alles, um das zu verhindern. So warnte die Geschäftsführung der ClinicServiceBetriebe (CSB) eindringlich davor, Wahlen abzuhalten. Als sich die Belegschaft nicht einschüchtern ließ, beschlossen die Chefs, das Unternehmen in vier aufzuspalten. So verhinderten sie, dass ein Betriebsratsmitglied freigestellt werden muss, wie es ab 200 Mitarbeitern gesetzlich vorgeschrieben ist.

Der Unmut wächst. Im vergangenen Jahr protestierten erstmals seit 1919 fast 400 Kirchenbeschäftigte in Stuttgart mit einem Warnstreik. Die Arbeitgeber hatten mit Abmahnungen und anderen Sanktionen gedroht - und schließlich doch nicht reagiert. Auch bei Agaplesion sind die Mitarbeitervertreter inzwischen gut vernetzt. "Wir wollen eine Gleichstellung mit dem Betriebsverfassungsgesetz und Tarifverträge", sagt Erhard Schleitzer.

Bernd Rautenberg aus Friedehorst will das Problem durch eine Gesetzesänderung angehen. Seit Oktober liegt sein Antrag im Petitionsausschuss. Zwar will er das Privileg der Kirchen, die Arbeitsbedingungen selbst festzulegen, nicht abschaffen. Doch wenn sie sich nicht an die Verträge oder Urteile des Kirchengerichtshofs hält, soll ein staatliches Arbeitsgericht zuständig sein. Ob sein Anliegen bereits bis zu Gottes Ohr vorgedrungen ist, ist ungewiss. Sicher ist dagegen: Die Antwort der Parlamentarier steht noch aus.