Unerwartetes Verhandlungsergebnis in Bund und Kommunen. Die Mitglieder entscheiden darüber

Warnstreik in München. Mit klarer Forderung

Das gab es noch nie: Die ver.di-Mitglieder im öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen entscheiden sich für oder gegen das Verhandlungsergebnis, für oder gegen den Abschluss der Tarifrunde. Jede/r wird bis zum 16. April gefragt. Wenn 75 Prozent der Befragten - oder mehr - dagegen stimmen, dann wird doch gestreikt. Obwohl die Bundestarifkommission allen empfohlen hat, zuzustimmen.

Der Erfolg

Der Abschluss bringt mehr Geld. Es wurde auch Zeit. Die Erhöhung für 2008 setzt sich aus dem Sockelbetrag von 50 Euro plus 3,1 Prozent mehr Gehalt zusammen. 2009 kommen 2,8 Prozent und eine einmalige Sonderzahlung von 225 Euro dazu. So erhalten die Frauen und Männer in der untersten Entgeltgruppe schon in diesem Jahr 7,11 Prozent mehr; in der höchsten Gruppe sind es 4,02 Prozent. Das gilt in den westlichen Bundesländern ab 1. Januar 2008, im Osten erst seit dem 1. April. Trotzdem sagt Angelika Kelsch, Mitglied der Verhandlungskommission, aus der Lutherstadt Wittenberg in Sachsen-Anhalt nach dem weitgehend schlaflosen Verhandlungswochenende in Potsdam: "Ich hätte nach der Schlichtung nicht gedacht, dass ein so gutes Ergebnis möglich ist."

Der Vorschlag der Arbeitgeberseite sah schlechter aus. In die letzten Verhandlungen gingen die meisten Beteiligten daher mit dem Gedanken, es werde zu Urabstimmung und Streik kommen, kommen müssen - auch Angelika Kelsch. Sie ist Verwaltungsfachwirtin und Personalratsvorsitzende in der Stadtverwaltung. Sie weiß, wie wichtig mehr Geld für ihre Kollegen ist, nach fünf Jahren ohne Gehaltserhöhung. Gerade für die, die von dem Einkommen nicht leben können und ergänzend Arbeitslosengeld II bekommen. Dass die Erhöhung im Osten später gilt als im Westen, stört Angelika Kelsch - aber: "Es bleibt ein großer Erfolg. Mir ist auch wichtig, dass die Auszubildenden 70 Euro mehr im Monat kriegen. Was ihre Übernahme nach der Ausbildung angeht - da müssen Betriebs- und Personalräte dann dranbleiben!"

Die Sache mit der Zeit

"Viele Fahrer bei uns sind sauer", so die nüchterne Einschätzung von Anke Wagner, Busfahrerin bei den Stadtwerken Solingen, Sprecherin der Vertrauensleute. "Eine halbe Stunde Mehrarbeit ist heftig. Unsere Vorbereitungs- und Abschlusszeiten werden nur pauschal bezahlt, dadurch arbeiten wir jetzt schon eine Stunde und 40 Minuten mehr in der Woche. Wenn nun noch eine halbe Stunde dazukommt..."

Zum Verhandlungsergebnis gehört der Kompromiss mit der Zeit: eine halbe Stunde mehr Arbeit pro Woche - von 38,5 auf 39 Stunden - ab 1. Juli in den Kommunen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Bayern, in Teilen von Hamburg, Bremen und Berlin. Ausnahmen gelten in Krankenhäusern und im Erziehungsdienst. In Ostdeutschland bleibt es bei 40 Stunden pro Woche.

Bei den Stadtwerken Solingen ist die Stimmung wegen der längeren Arbeitszeit "gemischt bis negativ", wie Anke Wagner sagt. "Natürlich freuen sich die Kollegen der unteren Entgeltgruppen. Es kommen überhaupt unterschiedliche Rückmeldungen aus NRW, je nachdem, wo die Kollegen arbeiten."

Zu denen, für die eine Ausnahme bei der Arbeitszeit gilt, gehört Hildegard Schwering, Personalrätin am Klinikum Augsburg. Ihre Kolleg/innen waren entschlossen, sich mit allen Mitteln dafür einzusetzen, dass es bei 38,5 Stunden bleibt. "Wir können einfach nicht mehr leisten", sagt Hildegard Schwering. "Und das haben wir geschafft! Gegeben haben wir dafür, was uns nicht so wichtig war, den leistungsbezogenen Teil des Lohnes, den nur einige Wenige erhalten sollten." Beim Geld sind Hildegard Schwering die 50 Euro am wichtigsten, denn: "Ich schäme mich für die Entgeltgruppe 1. Ich würde sie abschaffen. In der 1 bekamen neu eingestellte Reinigungsfrauen bei uns 1286 Euro brutto. Sie und alle in der Gruppe 2 brauchen die 50 Euro dringend!" Im Klinikum Augsburg arbeiten mehr als 500 Menschen in den beiden untersten Entgeltgruppen.

Bis 11. April gingen Hildegard Schwering und ihre Kollegen mit selbstgebastelten Wahlkabinen von Station zu Station. Schon am 7. April waren 120 Mitglieder befragt, niemand hatte sich versteckt in der Kabine entschieden. Hildegard Schwering - Mitglied der Verhandlungskommission - hat sogar Blumen bekommen, für den Abschluss.

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Das Ergebnis der Mitgliederbefragung lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.