Ausgabe 11/2009
Schöner arbeiten trotz Krise
Harter Job. Am Band bei Weltbild in Augsburg
Doch, es gibt Betriebe, in denen gute Arbeitsbedingungen trotz Krise nicht auf der Strecke bleiben, zum Beispiel bei der Verlagsgruppe Weltbild in Augsburg, die ein ungewöhnliches Projekt angepackt hat. Die Umsatzkurve ist abgesackt, die Schichten sind verkürzt. "Genau der richtige Zeitpunkt", meint der Betriebsrat im Stammhaus der Verlagsgruppe Weltbild, um anzugehen, was lange vernachlässigt wurde. Die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Visnja Bernhard muss sich nur den Krankenstand von acht Prozent anschauen, um zu wissen: "Da stimmt was nicht mit den Arbeitsbedingungen." Die einen machen die immer gleichen Bewegungen, Tag für Tag, die anderen hetzen dem Band hinterher. Das geht auf die Knochen und macht müde. Es ist keine junge Belegschaft, die im Callcenter und dem Versand des Stammhauses arbeitet: Fast jeder Zweite ist über 45. Wer als Neuer kommt, ist Leiharbeiter. Mal sind es 100, die in Augsburg arbeiten, mal 300. Mal werden sie dauerhaft eingesetzt, mal nur für die Saison. Sie verdienen ein Drittel weniger als die Stammkollegen. Die Angst treibt sie um, den Job wieder zu verlieren, zumal bis vor kurzem noch unklar war, ob Weltbild verkauft wird.
Das ernüchternde Ergebnis
Es sind viele Probleme, die der Betriebsrat jedoch nicht allein anpackt. Die Geschäftsleitung zieht mit. "Die Anforderungen der Kunden haben sich verändert, dadurch werden auch von den Mitarbeitern hohe Flexibilität und Leistung verlangt, gleichzeitig werden sie natürlich älter", erklärt Personalreferentin Kerstin Falter. Krankheiten häuften sich. "Für uns ist es wichtig, die Ursachen herauszufinden."
Unterstützung erhält der Betrieb vom Projekt Grazil, das sich um den Arbeits- und Gesundheitsschutz von Leihbeschäftigten kümmert. Weil der Einsatz von Leiharbeitern nie ohne Wirkung auf die Stammbelegschaft bleibt, steht deren Situation genauso im Fokus. Zuerst ging es darum, herauszufinden, was die rund 900 Beschäftigten in Callcenter und Versand am meisten belastet. Dazu wurde der Fragebogen des DGB-Index Gute Arbeit eingesetzt. Der Rücklauf war mit mehr als 60 Prozent hoch, das Ergebnis ernüchternd: Bei Weltbild, einem der größten Medienunternehmen, das sich einer "christlichen Weltanschauung" verschrieben hat, hinter dem zwölf katholische Diözesen und die Soldatenseelsorge Berlin als Gesellschafter stehen, herrscht "schlechte Arbeit". Während die Leiharbeiter vor allem ihr niedriges Einkommen und die fehlende Perspektive bemängelten, monierte die Stammbelegschaft die schlechten Arbeitsbedingungen.
Für jedes Problem gibt es einen eigenen Weg, sagt die Sozialwissenschaftlerin Tatjana Fuchs vom Internationalen Institut für Empirische Sozialökonomie in München, die das Grazil-Projekt im Betrieb leitet. Betriebsrat und Geschäftsleitung verhandeln über ein Prämienlohnsystem, Trainer schulen die Führungskräfte und alle Beschäftigten plus Leiharbeitskräfte von Versand und Callcenter wurden eingeladen, in Workshops Verbesserungsvorschläge zu machen. "Ich war überrascht, mit welcher Begeisterung und Motivation die Kollegen diskutiert haben", sagt Betriebsratsvorsitzender Peter Fitz. In kleinen Gruppen ging es um Themen wie Zugluft und Hitze, Einkommen, Arbeitsbelastung und vor allem Arbeitszeiten. Die sind äußerst flexibel. Die Belegschaft war sich einig: Sie wollen zurück zu verlässlichen Arbeitszeiten und nicht erst am Donnerstag erfahren, wie in der folgenden Woche gearbeitet wird.
Die Ergebnisse der Workshops sind im Betrieb ausgehängt, im September gab es weitere. Premiere für Weltbild: Erstmals mischen Beschäftigte mit und debattieren während der Arbeitszeit, wie sich ihre Arbeitsbedingungen verbessern können. Und wenn sich der eine oder andere Verbesserungsvorschlag als Rationalisierungsmaßnahme entpuppt? "Der Gewinn durch Kosteneinsparungen soll - zumindest aus der ersten Runde - in den Arbeits- und Gesundheitsschutz fließen", sagt die Betriebsrätin. Das muss allerdings noch mit der Geschäftsleitung verhandelt werden.