Fouls und rote Karten

Sie zeigen die rote Karte: 600 Schlecker-Beschäftigte aus Bayern und Baden-Württemberg in Ulm

Von Andreas Hamann

Der Begriff "Schläfer" stammt aus dem Spionagemilieu. Soll heißen: Schon lange angeheuert, nie auffällig, plötzlich aktiv. Fast so wie die Schlecker XL GmbH, die schon 1967 unter anderem Namen gegründet wurde. Erst jetzt, 40 Jahre später, kommt sie zum Einsatz. Dafür aber mit lautem Knall. Denn hier wird ein Modell zur Tarifflucht geprobt, das schon Nachahmer findet - nicht nur im Handel. ver.di lehnt es strikt ab, Kundenstreiks nehmen bundesweit zu.

Der frühere Metzgermeister Anton Schlecker, dessen Drogerie-Imperium die Nr. 1 in Europa ist, modernisiert sein Filialnetz - und er macht das auf die abgebrühte Tour. Die neuen XL-Filialen sind größer, heller. Doch in der Personalpolitik heben sie sich tiefschwarz ab: Stammbelegschaften werden durch Billigkräfte verdrängt.

Schon 800 Läden weniger

Vor Ort bei XL in Berlin-Steglitz: Eine ältere Kundin eilt aus der Filiale, bleibt stehen. "Von da drüben ist keine mehr da", sagt sie und schaut auf ein 20 Meter entferntes, leeres Ladenlokal: Die frühere Schlecker-AS-Filiale ist weg, keine Spur davon ist geblieben. "Eine Verkäuferin erzählte, man habe ihr angeboten, mal als Aushilfe in der neuen XL-Filiale zu arbeiten. Aber das hat sie abgelehnt."

Als 100-prozentige Tochter des Unternehmens Schlecker breitet sich XL seit dem Spätsommer 2008 rasant aus. Das hat mehrere Haken: Es gibt keine Tarifbindung und keine Betriebsräte; das Personal besteht überwiegend aus Leiharbeitskräften mit 6,78 Euro pro Stunde, weit unterhalb des regulären Tarifs im Einzelhandel, den Schlecker sonst anwenden muss. Eingestellt und bezahlt werden die meisten XL-Leute von der Verleihfirma Meniar aus Zwickau. Weihnachts- und Urlaubsgeld liegen bei Null. "Woher wissen Sie das?", fragt die junge Kassiererin im Berliner XL-Markt. Sie selbst sei neu und kenne sich noch nicht so aus. Ihr Chef heißt Alois Over (41) - zumindest auf dem Papier. Seit Jahren ist der Meniar-Geschäftsführer auch direkt im Personalwesen bei Schlecker tätig.

"Wir haben seit langem größere Läden vorgeschlagen, damit die Kunden auch mit Kinderwagen einkaufen können", sagt Katrin Wegener. Sie leitet im Gesamtbetriebsrat von Schlecker AS den Wirtschaftsausschuss. "Jetzt richten sie die Läden ein, aber in einer Weise, mit der wir absolut nicht klarkommen: Sie entsorgen die alteingesessenen Mitarbeiterinnen."

Widerstände und Mahnwachen

Ein Jahr nach der ersten Eröffnung wurden schon rund 250 große Filialen gezählt, bis Ende 2010 sollen es 1000 werden. "Wenn XL kommt, sterben im Umkreis drei bis vier AS-Filialen", sagt Achim Neumann, Schlecker-Experte bei ver.di. "Das Personal wird nicht übernommen, sondern meist entlassen. Allein in den ersten neun Monaten 2009 wurden fast 800 kleinere Drogeriemärkte geschlossen."

Gegen das Dumping im XL-Format zeigen sich Widerstände. An Mahnwachen vor den neuen Filialen und Kurzdemos beteiligen sich Kundinnen und Kommunalpolitiker. Die Resonanz auf die ver.di-Aktion "Rote Karte für Schlecker" ist groß: Auf tausenden Postkarten wird gefordert, die "alten" Beschäftigten zu übernehmen und für XL den Tarifvertrag des Einzelhandels zu akzeptieren.

Übernahme und tarifliche Gehälter - wie bei AS - verlangt auch die ver.di-Bundestarifkommission für Schlecker. "Es wird hart. Sehr viel hängt von den Kolleginnen in den Betrieben ab. Sie haben starke Unterstützung von ver.di verdient", sagt Achim Neumann. "Alle Kunden sollten unbedingt weiter in den AS-Filialen einkaufen, aber die XL-Märkte meiden, bis der Konzern einlenkt. Es muss dem Unternehmer Schlecker weh tun, wir wollen einen Teilboykott."