KLAUS HESS (58), gelernter Informatiker, kam 1987 zur Technologieberatungsstelle beim DGB NRW. Anfangs beschäftigte er sich mit Datenschutz, später mit Personalentwicklung, verbunden mit Fragen der Qualifizierung und des Gesundheitsschutzes. Das aktuelle Projekt ADVITA, das er als Berater begleitet, beschäftigt sich mit dem Altwerden im Beruf.

ver.di PUBLIK | Das Projekt ADVITA beschäftigt die Technologieberatungsstelle beim DGB Nordrhein-Westfalen schon geraume Zeit. Was hat es damit auf sich?

KLAUS HESS | Wir haben als arbeitnehmerorientierte Einrichtung für die Beratung von Betriebs- und Personalräten erkannt, dass Betriebe sich auf älter werdende Belegschaften einstellen müssen. Beschäftigte brauchen ein realistisches Bild von sich: Wie und was können wir noch arbeiten, welche Ressourcen haben wir? Und Unternehmen brauchen Handlungsinstrumente für den Umgang mit älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Unser aktuelles Projekt ADVITA ist dabei, das zu entwickeln. Das Thema treibt uns schon seit einem guten Jahrzehnt um. Das aus den Analysen aus zwölf Betrieben erarbeitete Leitprojekt "Beschäftigungsfähigkeiten im Betrieb" (BIB) bildet eine Grundlage für ADVITA. Inzwischen liegt als Broschüre eine erste Handlungshilfe für alternsgerechtes Arbeiten in Kindertagesstätten vor.

ver.di PUBLIK | Alternsgerecht?

HESS | Richtig, das ist kein Druckfehler, sondern meint den Prozess, mit der Arbeit altern und gesund die Rente erreichen zu können. Der Begriff ist nicht zu verwechseln mit altersgerechtem Arbeiten.

ver.di PUBLIK | Warum hat man den Kita-Bereich gewählt?

HESS | Der Wunsch wurde von Erzieherinnen über das BIB Projekt an uns herangetragen. Sie bleiben heute, anders noch als in früheren Generationen in der alten Bundesrepublik, oft bis zum Rentenalter im Beruf. Der Altersdurchschnitt liegt in vielen Einrichtungen weit über 40. Die älteren Erzieherinnen leisten gute Arbeit, nur muss diese für sie anders organisiert werden. Und die Betriebe, das heißt die Träger, Kita-Leitungen und auch Mitarbeitervertretungen, müssen das wahrnehmen. Was möglich ist, haben wir gemeinsam mit den Beschäftigten in 14 Kitas unterschiedlicher Größe in NRW erkundet, von der Elterninitiative über freie und kirchliche bis zum kommunalen Träger.

ver.di PUBLIK | Wie ging das vonstatten?

HESS | Schrittweise. In den Einrichtungen wurde ein Steuerkreis gebildet. Jede Beschäftigte hat einen Selbstcheck zu ihren physischen und psychischen Belastungen ausgefüllt, die Arbeitgeberseite nahm einen Unternehmenscheck vor. Daraus entstand eine IST-Analyse, aus der nach weiteren Gesprächen Handlungsempfehlungen abgeleitet wurden.

ver.di PUBLIK | Welches sind die größten Probleme?

HESS | Als wesentlich wurden die Belastungen aufgezählt, die durch das Agieren auf Augenhöhe mit den Kindern entstehen; dazu der Stress durch Lärm, das Nichtabschaltenkönnen zu Hause, das mangelnde Feedback der Vorgesetzten und fehlende Einschätzungen zur Qualität ihrer Arbeit.Nur wenige können sich vorstellen, ihren Beruf bis zur Rente auszuüben, sehen aber in der Regel keine anderen Möglichkeiten. Verblüffend war, dass sich Kita-Leiterinnen selbst oft nicht als Führungspersönlichkeiten und Adressaten für diese Fragen wahrnehmen, sondern die jeweiligen Träger als Vorgesetzte sehen. Der Unternehmenscheck hat gezeigt, dass die Einrichtungen durch die dünne Personaldecke und fehlende finanzielle Ressourcen mit ihrer betrieblichen Gestaltungskraft oft am Ende sind.

ver.di PUBLIK | Wie lässt sich das lösen?

HESS | Die IST-Analyse eröffnet Handlungsfelder. Gesundheitsförderung, Arbeitsorganisation oder Arbeitszeit sind da nicht unbedingt neu. Wohl aber die spezielle Sicht auf die älteren Beschäftigten. Ein Beispiel: Um ältere Kolleginnen von der Gruppenarbeit zu entlasten, ohne sie in Teilzeit zu schicken, sollten die Kompetenzen verteilt werden. Eine Erzieherin könnte sich stundenweise um die Sprachförderung kümmern, eine andere um Musikerziehung, eine dritte um die Dokumentation. Dies kann auch in Weiterbildungsangeboten entwickelt werden.Die Beschäftigten sollten ihr Selbstmanagement für eine gesunde Lebensweise hinterfragen, Unterstützungsmaßnahmen annehmen und spezifische Bedingungen aushandeln. Sie müssen für sich selbst aktiv werden.

ver.di PUBLIK | Was müssen Personalräte und Gewerkschaften tun?

HESS | Die Arbeitsschutz-Gefährdungsbeurteilung ist Pflicht für die Unternehmen, darauf müssen die Mitarbeitervertretungen unter dem Aspekt der älter werdenden Belegschaften achten. Denn diese Beurteilung schärft die Sicht für spezifische Belastungsfragen. Ältere haben andere Fähigkeiten, andere Interessen. Sie sind aufgrund ihrer Erfahrungen stressresistenter und gründlicher, aber nicht mehr so schnell. Damit muss sich die Arbeitgeberseite auseinandersetzen und sie entsprechend einsetzen. Wie sehr Gesundheitsförderung in den Mittelpunkt rückt, zeigt übrigens der erstreikte Tarifvertrag Gesundheitsschutz für die Sozial- und Erziehungsberufe. Damit hat ver.di in ein Wespennest gestochen.

ver.di PUBLIK | Nach Abschluss des Kita-Projekts läuft die aktuelle Analyse jetzt in der IT-Branche. Was ist dort anders?

HESS | In privaten IT-Unternehmen sind die Beschäftigten jünger, trotz guter Bezahlung wechseln sie schneller. In kommunalen IT-Bereichen ist der Altersdurchschnitt mit 42 Jahren höher, die Bezahlung geringer. Geschätzt wird hier der sichere Arbeitsplatz. Es geht darum, Belegschaften zu stabilisieren, Voraussetzungen für ihr Älterwerden im Beruf zu schaffen, zu denen Gesundheitsschutz, Leistungsbegrenzung und Wissensmanagement gehören. Dafür muss sensibilisiert werden. Für die IT-Branche werden wir bis Ende 2010 Ergebnisse ähnlich der Handlungsempfehlungen für Kitas vorlegen. Die Auswertung mit ver.di in einer Veranstaltung des Bundesvorstandes ist schon verabredet.

INTERVIEW: Bettina Erdmann

"Wie sehr Gesundheitsförderung in den Mittelpunkt rückt,zeigt der erstreikte Tarifvertrag Gesundheitsschutz für die Sozial- und Erziehungsberufe."