Ausgabe 04/2010
Freien Fall gestoppt
von Silke Leuckfeld
Kein Grund zum Jubeln, lediglich ein Etappensieg ist der allgemeinverbindliche Mindestlohn im Pflegebereich, der Ende März vereinbart wurde. "Der Mindestlohn ist nicht angemessen für diese Tätigkeit, dies ist uns bewusst", stellt Jürgen Wörner, Tarifsekretär im ver.di-Bundesfachbereich Gesundheits- und Sozialwesen fest. "Es war aber nicht möglich, einen höheren Stundensatz mit den Arbeitgebern auszuhandeln." Angesichts der Niedriglöhne, die teilweise in der Branche gezahlt werden, bedeutet der Mindestlohn eine Haltelinie nach unten. Deshalb wollte ver.di den Mindestlohn nicht scheitern lassen.
Erst kürzlich hatte Jürgen Wörner einen Arbeitsvertrag von einer examinierten Krankenschwester erhalten, die bei voller Arbeitszeit lediglich 850 Euro brutto im Monat verdient. Dies bedeutet einen Stundenlohn, der nicht einmal bei sechs Euro brutto liegt. "Mit dem Mindestlohn können wir solchen Niedriglöhnen erstmal die schlimmste Spitze nehmen", betont er. "Dennoch sind wir nicht zufrieden. Wir wollten auch einen einheitlichen Mindestlohn in Ost und West, dazu waren aber der private Arbeitgeberverband und die Diakonie nicht bereit." Die Kommission zur Findung eines Mindestlohns, in der die Arbeitgeber und ver.di vertreten sind, einigte sich auf einen Bruttostundenlohn in Höhe von 8,50 Euro für Pflegehilfskräfte im Westen und 7,50 Euro im Osten. Die Bundesregierung muss diesen Mindestlohn nun noch für allgemeinverbindlich erklären. Vom 1. Juli an soll er die Untergrenze für die Entlohnung von rund 800 000 Beschäftigten sein. Stufenweise soll der Mindestlohn bis 1. Juli 2013 auf neun Euro (West) und acht Euro (Ost) steigen.
Gute Erfahrungen in der Abfallwirtschaft
Seit dem 1. Januar gilt auch in der Abfallwirtschaft ein Mindestlohn. Erste Erfahrungen belegen, wie wichtig er ist. "Der Zoll hat bereits geprüft, ob der Mindestlohn eingehalten wird. Es wurden schon einige Fälle aufgedeckt, wo dies nicht der Fall war", sagt Ellen Naumann, ver.di-Bundesfachgruppenleiterin Abfallwirtschaft. Sortierkräfte, Müllwerker, aber auch Kraftfahrer von Müllfahrzeugen müssen mindestens 8,02 Euro Bruttostundenlohn erhalten - auch wenn sie als Leiharbeitnehmer beschäftigt werden. Einen Unterschied zwischen Ost und West gibt es nicht.
Vor dem Mindestlohn waren sechs bis sieben Euro pro Stunde bei nicht tarifgebundenen Unternehmen durchaus üblich gewesen. "Dennoch hätten wir ihn gern höher gehabt", sagt Ellen Naumann. Der Mindestlohn ist zunächst bis Ende Oktober 2010 befristet. ver.di wird die Arbeitgeberverbände auffordern, ihn zu verlängern und auch zu erhöhen.
Druck ausüben
"Wir bleiben hartnäckig und werden auch Druck ausüben, damit die Beschäftigten nicht auf die alten Löhne zurückfallen", betont Ellen Naumann. Theoretisch wäre es möglich, dass Beschäftigten ab November der Lohn wieder gekürzt wird, wenn in ihren Arbeitsverträgen ein niedrigerer Satz vereinbart wurde. Neue Verträge bekamen sie zum Jahreswechsel in der Regel nicht.
Diese Arbeitgeber zahlen jetzt zwar den allgemeinverbindlichen Mindestlohn, können aber auf die arbeitsvertraglich vereinbarte Höhe zurückgehen, wenn er ausläuft. Das will ver.di verhindern. Letztendlich kann ein niedrigerer Lohn auch nicht im Interesse der Arbeitgeber und ihrer Verbände sein. In der Vergangenheit wurden tarifgebundene Betriebe von Unternehmen, die Billiglöhne zahlen, bei den Ausschreibungen für öffentliche Aufträge unterboten.