GABRIELE LANDEN arbeitet seit 40 Jahren im Tourismus, seit 2002 ist sie Betriebsratsvorsitzende bei der Rewe-Touristik, aber nicht erst seit dieser Zeit hat sie Umstrukturierungen und Krisen zu bewältigen

Gabriele Landen, geboren 1952 in Selters, Westerwald. Mittlere Reife, Wirtschaftsfachschule, Abschluss Fachabitur. Ausbildung bei der Post zur Telegraphistin, danach tätig als Reiseverkehrskauffrau bei ITS Reisen (damals Tochtergesellschaft von Kaufhof), heute bei der Rewe-Touristik GmbH (Unternehmen der ReweGroup). Freigestellte Betriebsratsvorsitzende seit 2002. Ehrenamtliches Engagement bei ver.di im Fachbereich Besondere Dienstleistungen: stellvertretende Vorsitzende des Fachbereichsvorstandes auf Bundes- und Bezirksebene sowie Vorsitzende der Fachgruppe Touristik Freizeit Wohlbefinden auf Bundes-, Landes- und Bezirksebene, zudem Mitglied im Landesfachbereichsvorstand. Gabriele Landen ist seit 1976 Mitglied der Bundestarifkommission und Verhandlungskommission Touristik.

von Uta von Schrenk

Ende der 90er Jahre, ihre jüngere Tochter war Sprecherin der achten Klasse, sollte ein Mitschüler von der Schule verwiesen werden. Sein Vergehen: Er hatte getestet, ob sein Schließfach brandsicher ist. Gabriele Landen war damals Elternsprecherin. Mutter und Tochter verhinderten auf der eigens einberufenen Klassenkonferenz, dass der Delinquent gehen musste. Als sie den Raum verließen, klatschten sich die beiden ab. "Das haben wir gut hingekriegt, Muttertier!"

Gabriele Landen hält nichts von drakonischen Maßnahmen, schon gar nichts von Maßregelung. Und sie erreicht ihre Ziele gern im Team. Eine Haltung, die mit dafür gesorgt haben mag, dass Gabriele Landen heute Betriebsratsvorsitzende bei der Rewe-Touristik GmbH und Mitglied des Bundesfachbereichsvorstandes Besondere Dienstleistungen (FB 13) von ver.di ist. Ob gestandene Wachschützer von einem gemeinsamen Vorgehen im Bundesfachbereichsvorstand per Kneipenabend überzeugt oder aufgelöste Kolleg/innen bei der Rewe-Touristik unterstützt werden müssen: Gabriele Landen beweist Standfestigkeit. Mit den einen diskutiert sie, "wenn ́s sein muss, auch bis fünf Uhr morgens". Für die anderen bestellt sie bei der Geschäftsführung demonstrativ "eine rosa Couch, weil die psychische Überlastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch den Stress im Büro so dramatisch zugenommen hat".

Das Reisen öffnet den Blick

Drahtig, braune Haare, leichte Sommerbräune, Outdoor-Jacke zur Jeans - Gabriele Landen ist eine jugendliche Frau von 58 Jahren. Vielleicht bringt das der Beruf mit sich. "Die Touristik ist eine interessante Branche, man lernt viel - wir verkaufen Traumreisen, erhalten aber keine Traumgehälter", sagt Gabriele Landen und lacht. Die Informationsreisen in die "Zielgebiete", zu einer Zeit, in der den Deutschen Italien noch als Fernreise galt, öffnen den Blick, relativieren manches zuhause. "Man bleibt neugierig, wird toleranter", sagt Gabriele Landen. Vielleicht hat sie die Jugendlichkeit aber auch von zuhause einfach mitgebracht, aus einem kleinen Dorf im Westerwald, das Gabriele Landen mit 17 Jahren in Richtung Köln verlässt, um erst Telegraphistin zu lernen und dann 1970 als Quereinsteigerin bei der ITS - einem Vorläufer-Unternehmen der Rewe-Touristik - anzufangen.

Das Mädchen aus dem Westerwald macht schnell Karriere: 1976 Büroleiterin bei Hertie-Reisen in Bergisch Gladbach. 1984 dann der Karriereknick, Teilzeit, mit der Geburt der ersten, zwei Jahre später der zweiten Tochter. 1992 Aufstockung auf Vollzeit, dann Teamleiterin "Flug-Nah" und stellvertretende Leiterin Verkauf in der ITS-Zentrale in Köln. Und nebenher immer Betriebsratstätigkeit und gewerkschaftliches Engagement. Dann ab 2002 Freistellung als Betriebsratsvorsitzende, zuständig für rund 700 Beschäftigte. Und dabei alleinerziehend. Für das alles braucht es schon eine gute Portion Jugendlichkeit.

Gabriele Landen hat zu einer Zeit in der Touristik angefangen, als die Beratung der Kunden noch vorwiegend persönlich oder per Telefon erfolgte. "Wir waren das erste Unternehmen, das im Januar 1971 einen Computer einsetzte", erinnert sie sich. Seither habe sich der Beruf der Reiseverkehrskauffrau sehr verändert. "Die Arbeit hat sich enorm verdichtet. Damals sprach man miteinander, heute mailt man. Damals musste man während des Kundengesprächs den Preis der Reise noch aus dem Katalog berechnen, heute erledigt das der Computer."

Die schöne neue Welt der Touristik

Wechselnde Geschäftsführungen, schnellere Technik, ständige Umstrukturierungen - die schöne neue Welt der Touristik hat, wie in anderen Branchen auch, ihren Preis: Am Ende des Flurs wartet die Couch in Gabriele Landens Büro. Auf ihr sitzen - je nach Temperament - ängstliche bis wütende Frauen und Männer, die Sorge haben, morgens ihr Büro zu betreten, weil sie sich der Gemengelage aus zu steigernden Erlösen und zu senkenden Personalkosten nicht gewachsen fühlen. "Bei der Rewe-Touristik stehen Umstrukturierungen an - ob auch Entlassungen, können wir noch nicht abschätzen", sagt Gabriele Landen. Aber Wind, so denkt sich das Management, kann man ja schon mal machen. Nur, dass viele Kolleg/innen da die Erinnerung an die Entlassungswelle Mitte der 90er Jahre anweht, die das Unternehmen durchlebte, nachdem es mehrere Töchter geschluckt hatte.

Es ist also Krise in der Touristik. "Wieder mal oder eigentlich immer", sagt Gabriele Landen. In der Branche stehen Tarifverhandlungen an, Gabriele Landen als Mitglied der Bundestarifkommission mittendrin, und die Arbeitgeber singen im Duett: in der Fachpresse das Hohelied des Erfolges - Wachstum wird wieder angepeilt, Geschäftsreisen boomen derart, dass manche Anbieter Personalengpässe haben -, gegenüber ver.di jedoch die Arie vom unumgänglichen Sparen - von zehn bis 15 Prozent niedrigeren Grundgehältern ist die Rede. Und 70000 Beschäftigte lauschen aufmerksam.

Gabriele Landen hat nach 40 Jahren im Beruf gelernt, auch mal auf Durchzug zu stellen, zwischen Krise und Krise zu unterscheiden. Da gibt es die weltweite Wirtschaftskrise, die zwar Einbußen in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe brachte, aber insgesamt doch nicht so schlimm für die Branche ausging, und "in deren Schatten nun viele Unternehmen versuchen, ihre Personalkosten zu drücken", wie Gabriele Landen feststellt.

Die echten Krisen

Und da gibt es die echten Krisen, wie den 11. September 2001, den Tsunami im Dezember 2004, die Aschewolke über Europa, Unruhen in Thailand oder das Erdbeben in Haiti - Krisen, in denen Gabriele Landen und ihre Kolleginnen nicht wissen, ob die Kundin, der Kunde noch lebt, wie man die Familie mit den kleinen Kindern aus dem Krisengebiet herausbekommt oder was man dem erwachsenen Sohn sagen soll, der von seinen Eltern nun schon seit drei Tagen nichts mehr gehört hat.

Ägypten 1997 sitzt Gabriele Landen noch in den Knochen. Damals wurde vor dem Ägyptischen Museum in Kairo ein Reisebus gesprengt, Menschen wurden erschossen. "Wir hatten Gäste dort, das war unser Bus", sagt Gabriele Landen. Der Rest ist automatisches Funktionieren: Organisation einer Krisen-Hotline, Umbuchungen bis spät in die Nacht, um die Kunden "rauszuholen", Recherchen vor Ort, um zu erfahren, wie es den Verletzten geht. "Verarbeiten, die Toten, die Verletzten - das kommt hinterher."

Das sind die Momente, in denen Gabriele Landen, "die Frau, auf deren Stirn das Wort ,sozial' klebt", wie ihre Tochter sagt, die Tür hinter sich zuzieht und nichts mehr hören will, nicht einmal mehr Musik.

"Die Touristik ist eine interessante Branche, man lernt viel - wir verkaufen Traumreisen, erhalten aber keine Traumgehälter."