Ausgabe 10/2011
Alpenland teilt Berlin
Überraschende Lektüre: Ein Sonderblatt zum Jahrestag der deutschen Einheit
Von Claudia von Zglinicki
30. September, 12 Uhr mittags. Es ist heiß, und es ist viel los am Checkpoint Charlie. Touristen eilen hinter Stadtführern her und rennen hektisch durcheinander. Da tauchen plötzlich Leute auf, die die Ruhe weg haben: Gehüllt in weiße Anzüge mit Kapuzen, stellen sie sich mitten auf die Straße und schlagen riesige Zeitungen auf. Sie stehen genau dort, wo die Mauer verlief. Die Schlagzeilen der Zeitungen in ihren Händen sind gut zu lesen: "Sensation! Alpenland-Pflegeheime: Wir teilen die Stadt!" Passanten stutzen, nehmen Info-Blätter und fotografieren. Eine Frau sagt: "Das kann doch nicht sein. Immer noch?"
Immer noch benachteiligt die Alpenland Pflegeheime Berlin GmbH die Beschäftigten ihrer drei Häuser in Ostberlin. Im Unterschied zu allen, die im Westen der Stadt und in Baden-Württemberg für das Unternehmen arbeiten, haben sie in Berlin-Marzahn keinen Tarifvertrag, trotz jahrelanger Verhandlungen und aller Bemühungen von Betriebsrat und ver.di. Sie arbeiten länger und verdienen im Schnitt 300 Euro weniger im Monat. Deshalb streiken sie, schon seit dem 18. August. Und um Druck zu machen, lässt die beharrliche Truppe sich einiges einfallen. Daher die Aktion auf dem Mauerstreifen am Checkpoint Charlie. Am Tag zuvor sind die Streikenden ans Spree-Ufer gefahren, an eine Dampfer-Anlegestelle in Berlin-Mitte. Die Geschäftsführung hatte die komplette Belegschaft zu einer Bootstour eingeladen, doch nur Führungskräfte und Verwaltungspersonal sind auf den Dampfer gestiegen. "Wir haben am Ufer gestanden und den Wenigen zugewinkt", berichtet Manuela Pohl aus dem Betriebsrat. "Es sollte ihnen peinlich sein, und das war es auch. Einige haben sich vor uns geschämt, man hat es ihnen angemerkt. Man kennt doch seine Vorgesetzten. Sie konnten mir nicht in die Augen schauen."
An guten Ideen ist kein Mangel. Auf einer Schweigedemo sind die Streikenden durch die drei Pflegeheime gezogen. Sie haben den Bewohner/innen erklärt, worum es ihnen bei dem Streik geht, und auf einer Abendveranstaltung die Angehörigen informiert. Von beiden Seiten bekommen sie Zuspruch.
Sie sind flexibel genug
Seitdem haben sich noch mehr Frauen und Männer zum Streik entschlossen. Keine leichte Entscheidung. Niemand will die Heimbewohner im Stich lassen. "Aber es muss sich endlich etwas ändern", sagt Manuela Pohl. "Und ich kenne meine Rechte und ich habe das Recht zu streiken."
ver.di-Verhandlungsführerin Meike Jäger betont, wie flexibel die Beschäftigten schon jetzt sind. Noch mehr Entgegenkommen könne die Geschäftsführung von ihnen nicht erwarten. Auf eine Regelung mit Teildiensten werden sie sich nicht einlassen. Sie sind jedoch bereit, weiterhin 40 Stunden pro Woche zu arbeiten, obwohl die Arbeitszeit in den Westberliner Häusern nur 38,5 Stunden beträgt. "Jetzt muss die Geschäftsführung bei der Bezahlung noch mal was drauflegen oder über eine ordentliche Jahressonderzahlung ohne Vorbehalte für alle nachsteuern", sagt Meike Jäger. Das ist das Mindeste, was sie mit ihren Ideen durchsetzen wollen.