Erst der arabische Frühling, dann der europäische Sommer, schließlich ein weltweiter Herbst - die Jugend der Welt hat sich zu einer Protestwelle erhoben. Über den Winter ist sie etwas abgeebbt, aber jetzt rollt sie wieder an. Die Generation, die seit einem Jahr die Straßen besetzt, fordert weiter "Echte Demokratie jetzt!"

Von Stefan Zimmer

2011 war das Jahr der Proteste. Das Times-Magazin wählte die unbekannte Demonstrantin zur Person des Jahres und die deutschen Medien diskutierten über die neue Spezies des Wutbürgers. Angefangen hatte alles mit dem traurigen Selbstmord des tunesischen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi am 17. Dezember 2010. Knapp einen Monat später floh der tunesische Präsident Ben Ali und noch im Januar schwappte der Protest auf Algerien und Ägypten über. Was danach kam, ging als der arabische Frühling in die Geschichte ein. Und dem folgte der europäische Sommer.

Wenn der Frust explodiert

In Griechenland streikten und demonstrierten die Menschen schon seit 2010 gegen die Krisenpolitik ihrer Regierung. Im Mai 2011 erhoben sich auch in Spanien zehntausende überwiegend junge Menschen. Und im Verlauf der zweiten Jahreshälfte gab es in ganz Europa bis nach Israel Platzbesetzungen nach ägyptischem und spanischem Vorbild, Demonstrationen und Aktionen. In Chile gingen Studierende gegen die Privatisierung des Bildungssystems massenhaft auf die Straße. Im Unterschied zu diesen überwiegend friedlichen Protesten explodierte im August in Großbritannien der Frust der jungen Generation. Jugendliche vor allem aus den sozial schwachen Stadtvierteln lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei, plünderten Geschäfte in der Nachbarschaft und zündeten Häuser an.

Im Herbst erreichte die Protestwelle schließlich die USA. Hier gab es in den vergangenen Jahren trotz zunehmender Verarmung breiter Bevölkerungsteile kaum politischen Protest. Das änderte sich im September schlagartig, als einige Aktivist/innen in New York begannen, direkt vor der Börse in der Wallstreet zu demonstrieren und einen nahegelegenen Park zu besetzen. Innerhalb nur weniger Wochen entstanden überall in den USA Protestcamps. Die sogenannte Occupy-Bewegung in den USA bestimmte im Oktober auch hierzulande die Schlagzeilen. Als die Aktivist/innen schließlich für den 15. Oktober zu einem globalen Aktionstag mobilisierten, beteiligten sich junge Menschen in über 1000 Städten - von Australien über Europa bis nach Kalifornien.

Haben wir 2011 die Geburt einer neuen, globalen Bewegung erlebt? Oder sind die Rahmenbedingungen und Anlässe der Proteste doch zu verschieden? Was die jungen Demonstrantinnen und Demonstranten weltweit eint, sind ihre unsicheren Zukunftsperspektiven. Es gab noch nie eine so gut ausgebildete Jugend wie heute. Gleichzeitig befindet sich die Jugendarbeitslosigkeit in Europa auf einem Langzeit-Rekordhoch. Auch in Ägypten sind 30 Prozent der unter 25-Jährigen erwerbslos und kurz vor dem Sturz Mubaraks gab es drei Millionen Akademiker/innen ohne Job. Zwar lässt sich das autoritäre Regime dort nicht mit den parlamentarischen Demokratien in der westlichen Welt vergleichen, doch eint die Jugend ein Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeschlossenseins von politischen Entscheidungsprozessen.

Und dieses Gefühl schlug 2011 weltweit in Empörung und Protest um. In Ägypten stürzten die Menschen ihre Diktatur. In Europa, Israel und den USA geht es den jungen Leuten auf der Straße nicht um einen Umsturz - Demokratie haben sie bereits. Aber sie funktioniert nicht mehr, wie sie sollte. So war einer der zentralen Sprüche der Empörten in Spanien: "Echte Demokratie jetzt!" und "Wir sind nicht gegen das System - das System ist gegen uns!"

Die Ausschreitungen in Großbritannien im vergangenen Sommer zeigten ein anderes Bild. Dort gab es keine politischen Forderungen. Es waren jedoch auch keine erwerbslosen Akademiker/innen, die Geschäfte plünderten, sondern Jugendliche aus den Armenvierteln. Auch sie fühlen sich ausgeschlossen und abgehängt. Kaum eine Chance, ihre ökonomische Lage jemals zu verbessern, griffen sie bei den Plünderungen einfach zu. Häufig bei Konsum- und Livestyle-Artikeln, die sie sich niemals werden leisten können. Diese Jugendlichen reagierten anders auf die wahrgenommene Systemkrise, die Ursachen lassen sich hingegen durchaus vergleichen.

Der lange Atem des Protests

Und was ist in Deutschland? Hier beteiligten sich am globalen Aktionstag Mitte Oktober nur 40.000 Menschen. Allein in Barcelona waren es am selben Tag 400.000. Doch auch hierzulande schlug das jahrelange Lamentieren darüber, nichts ändern zu können, in entschlossenen Protest um. Das ließ sich bei den völlig unerwarteten Protesten gegen Stuttgart 21, gegen die Laufzeitverlängerung der deutschen AKW und gegen die Castortransporte beobachten. Die Jugend nimmt der Politik die Mär von der Alternativlosigkeit nicht mehr ab.

Über den Winter scheint nun alles wieder auf Eis gelegt. Die Empörten in Spanien gaben die Plätze noch im Sommer frei, auch in Israel wurden die Zeltstädte der Demonstrant/innen aufgelöst und Reformen angekündigt. Ebenso in New York und den meisten anderen US-amerikanischen Städten. Vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main hält nur eine kleine Gruppe die Stellung und das Protestcamp in London bekam Ende Januar die Räumungsklage. Im Frühling und Sommer diesen Jahres wird sich nun zeigen, ob die junge Generation wieder in Anpassung und Vereinzelung zurückfällt oder doch einen langen Atem hat. In Deutschland wird am 31. März und 15. Mai 2012 nach Frankfurt zu europäischen Aktionstagen mobilisiert. Ihnen soll ein weiterer Protestsommer folgen.