Ausgabe 08/2013
Zusammen gegen Billigjobs
Auch die Puppe war dabei: Einzelhandels-Aktion im Düsseldorfer Hofgarten
Selten ist in Deutschland so viel und so phantasievoll gestreikt worden wie in dieser Tarifrunde des Einzelhandels. Auch die Drohung "Weihnachten steht vor der Tür, wir auch!" scheint gewirkt zu haben. Nach acht Monaten Arbeitskampf mit verhärteten Fronten wurde in Baden-Württemberg der erste Abschluss erreicht. Er sieht - auf zwei Jahre gerechnet - um 5,1 Prozent höhere Löhne und Gehälter vor. Der von den Arbeitgebern gekündigte Manteltarifvertrag tritt unverändert wieder in Kraft. Damit ist der seit Anfang des Jahres betriebene Angriff auf tariflich garantierte Zuschläge und Arbeitszeitregelungen hier erst einmal gestoppt worden.
Nach 20-stündigen Verhandlungen gab es in der Nacht zum 5. Dezember ein wichtiges Ergebnis: Mit dem Flächentarifvertrag konnte "das wichtigste Bollwerk gegen zunehmende Prekarisierung im Handel" erhalten werden, so Bernhard Franke, der für ver.di in Baden-Württemberg verhandelt hat. "Allein dafür hat sich der Einsatz gelohnt." Die Löhne und Gehälter in Baden-Württemberg werden in zwei Stufen angehoben: Rückwirkend ab 1. Juli 2013 um drei Prozent, ab 1. April 2014 um weitere 2,1 Prozent. Die Vergütung der Auszubildenden steigt überproportional. Bis zum 11. Dezember folgten Abschlüsse in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und im Saarland.
Strittigster Punkt war bis zuletzt die Frage, wie ausgegliederte Auffüllkräfte, die bei "Instore-Unternehmen" unter Vertrag stehen und zu Dumpinglöhnen Regale bestücken, wieder in den Tarifvertrag zurückgeführt werden können. Der Kompromiss sieht so aus: Arbeitgeber und ver.di einigten sich auf einen Tarifvertrag zur Warenverräumung im Verkauf mit einer eigenen Entgeltgruppe für diese Beschäftigten, die bei knapp unter zehn Euro liegt. "Ein klares Signal gegen mehr Werkverträge im Einzelhandel", sagte Verhandlungsführer Franke.
Beide Seiten haben sich auch auf eine Reform der Branchentarifverträge bis zum 31. März 2015 verständigt. Dazu wurde eine eigene Tarifvereinbarung unterzeichnet. Themen, die verhandelt werden sollen, sind eine neue Entgeltstruktur und die Arbeitszeit. "Wir erwarten jetzt von allen Arbeitgebern, dass es nicht wie in den Vorjahren zu Blockaden in bestimmten Regionen kommt, sondern dass sie diesen Abschluss überall akzeptieren und übernehmen", so ver.di-Tarifexperte Rüdiger Wolff. Über Lösungen, die sich in wesentlichen Aspekten am baden-württembergischen Abschluss ausrichten, wurde in der ersten Dezember-Hälfte noch in Hessen sowie Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt verhandelt.
Wie der Blitz
Die vorläufige Bilanz der Tarifauseinandersetzung von März bis Anfang Dezember fällt gut aus: Es gab große Streikkundgebungen vor den Unternehmenszentralen von Kaufland, Real und Ikea mit Beschäftigten aus mehreren Bundesländern. Sehr wirksam waren Überraschungsstreiks bei Galeria Kaufhof sowie Menschenketten und City-Demonstrationen wie zuletzt in München, Nürnberg, Duisburg, Darmstadt und Leipzig. In Berlin haben 300 Kolleg/innen erst unerkannt in einer Ikea-Filiale gefrühstückt und sind dann mit Streikwesten und Informationsmaterial durch das Einrichtungshaus gezogen. Unerwartet für viele Vorgesetzte lief in Berlin auch eine andere Aktion ab, ein "Blitz": Unterstützt von Sympathisant/innen besuchten Teams von streikenden H&M-Beschäftigten fast alle Filialen und informierten dort in Einzelgesprächen kurz und schnell über die Tarifrunde und die Wahl neuer Betriebsräte.
Neue Aktionsformen wurden im ganzen Land ausprobiert, die Streikbewegung war intensiv wie nie. Einzelne Belegschaften im Südwesten der Republik haben an über 80 Tagen die Arbeit niedergelegt - mehr als 16 Wochen. Die Arbeitskämpfe in den Hochburgen Mannheim/Heidelberg, Stuttgart/Heilbronn und Freiburg haben stark dazu beigetragen, dass der erste Abschluss möglich wurde. Doch die Wut über die jetzt gestoppte Attacke der Arbeitgeber, die der Prekarisierung im Einzelhandel mit neuen Billigjobs einen weiteren Schub geben sollte, hat auch in den anderen Tarifregionen viele Beschäftigte erstmals auf die Straße getrieben. Zehntausende haben sich seit dem Frühjahr deutschlandweit an Aktionen beteiligt.