Protest gegen die Lohn-Mauer

Die Tarifrunden im Handel haben begonnen; beim Einzelhandel mit seinen Supermarktketten, Bekleidungsfilialisten und Warenhäusern sowie beim Groß- und Außenhandel, zu dem auch der Großhandel mit Baustoffen, Arzneien, Stahl und Agrarprodukten zählt. Die Verhandlungen werden in den ver.di-Landesbezirken geführt, die Kernforderungen werden abgestimmt und Aktionen koordiniert. In diesem Jahr geht es überall einzig ums Geld.

Im Osten 407 Euro weniger

"Ab hier wird's billig!" stand auf den Transparenten, die die Berliner Einzelhandelsbeschäftigten und ihre ver.di-Vertreter/innen am 21. Mai exakt am Verlauf der früheren Grenze zwischen West- und Ostberlin den Passanten präsentierten. "Mehr als 25 Jahre nach dem Mauerfall bekommen Beschäftigte im Berliner Osten 349,20 Euro pro Jahr weniger als ihre Westkolleg/innen, in Brandenburg ist es es sogar ein Minus von 407,40 Euro", sagt Erika Ritter, Fachbereichsleiterin Handel bei ver.di Berlin-Brandenburg. Umso wichtiger waren die Aktionen am ver.di-Haus in der Köpenicker Straße und am Potsdamer Platz.

Vor allem Touristen fragten, was es mit der Ungleichheit auf sich habe. "Viele waren perplex, als sie von den immer noch vorhandenen Unterschieden in der Bezahlung erfuhren", sagt Heike Dumke, Betriebsrätin bei Rewe. "Entsprechend groß war ihr Verständnis für uns."

Die Forderung nach der Entgeltgleichheit zwischen Ost und West ist eine Besonderheit in Berlin und Bandenburg. Ansonsten ähneln sich die Positionen der ver.di-Landesbezirke bei der Forderung: Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen sollen entweder um einen Euro pro Stunde oder um 5,5 Prozent steigen, mindestens aber um 150 Euro monatlich. Außerdem strebt ver.di wieder die bis zum Jahr 2000 obligatorische Allgemeinverbindlichkeitserklärung für die Tarifverträge des Einzelhandels an.

"Bisher ist von den Arbeitgebern als Angebot noch nicht viel gekommen", sagt Bernhard Franke, Landesfachbereichsleiter Handel in Baden-Württemberg. "Sie haben uns eine unbefriedigende Gehaltserhöhung für das erste Jahr und eine Einmalzahlung für das zweite Jahr angeboten; die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge lehnen sie ab." Vor der zweiten Verhandlungsrunde in Baden-Württemberg gab es bereits erste Streiks, so bei Kaufland, real,-, Kaufhof, H&M, COS, Esprit und Zara.

Bundesweiter Aktionstag in Edeka-Lagern

Im Groß- und Außenhandel startete die Tarifrunde schon Mitte April mit bundesweiten Aktionen in Edeka-Lagern. Eine "tolle Beteiligung und großes Interesse an der Tarifrunde" stellte Wolfgang Stark fest, der Vorsitzende des Edeka-Gesamtbetriebsrats für Nordbayern-Sachsen-Thüringen. Ehrenamtliche Kolleg/innen hatten die Idee für den Aktionstag entwickelt, ver.di unterstützte sie. Bei Lekkerland, wo über ein Umstrukturierungskonzept viele Stellen abgebaut werden sollen, stimmten sich die Betriebsräte bei ihrer jährlichen Vollversammlung mit einer Protestaktion auf die Tarifrunde ein. Auch in vielen anderen Betrieben der Branche, so im Pharmagroßhandel oder Metro Cash and Carry, haben Aktionen begonnen. In Nordrhein-Westfalen, Bayern, Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Baden-Württemberg kam es zu ersten Streiks, denn auch im Groß- und Außenhandel liefen die Verhandlungen bisher nicht im Sinne der Beschäftigten.

Obwohl es nur ums Entgelt geht, mischen die Arbeitgeber Forderungen aus dem Manteltarifvertrag in ihre "Vorschläge". So wollen sie im Bereich der Cash-and-Carry-Märkte die Heiligabend- und Silvester-Öffnungszeiten ausdehnen und den Samstag zum Regel- arbeitstag machen. "Diese Forderungen müssen vom Tisch", sagt Stefan Kraft, Tarifpolitiker aus der ver.di-Bundesfachgruppe Groß- und Außenhandel. "Themen aus dem Manteltarifvertrag gehören nicht in eine Entgeltrunde, und wir werden auch keine Verhandlungsverpflichtung akzeptieren. Wehret den Anfängen!" Auch die bisher angebotenen Entgelterhöhungen von zwei Prozent für das erste und 1,5 Prozent für das zweite Jahr werden in allen Landesbezirken als unzureichend zurückgewiesen. In der zweiten Junihälfte wird weiter verhandelt - dann vielleicht mit mehr Entgegenkommen der Arbeitgeber.