"Ein Streik hat nicht das Ziel, für die Geschäftsleitung angenehm zu sein"

"Der kleinste Streik der Stadt" schrieb die Boulevardzeitung Berliner Kurier über den Arbeitskampf im Kino Babylon. Rund zehn Beschäftigte des Kinos in Berlin-Mitte fallen unter den Haustarifvertrag, ver.di hat dort die Mitglieder nach mehreren Warnstreiks seit Juli zum unbefristeten Erzwingungsstreik für mehr Geld aufgerufen. Sie streiken - und spätestens seit dem 6. Oktober ist der Streik Stadtgespräch. An jenem Tag beschmierte der Geschäftsführer die Eingangstüren mit dem, was die Nazis "Judensterne" nannten, am Kino ließ er ein großes Plakat anbringen, gestaltet im Stil der nationalsozialistischen Hetze gegen Juden. Zunächst bezeichnete er das Ganze als "Kunstaktion", später behauptete er, damit gegen den monatelangen Arbeitskampf und Verunglimpfungen zu protestieren.

Die Aktion des Chefs wurde gefilmt: Mit einer gelben Warnweste bekleidet, sprühte Babylon-Geschäftsführer Timothy Grossmann die Sterne an die Scheiben des Kinoeingangs. Für den unbeteiligten Betrachter musste es so aussehen, als sei er einer der Streikenden, die wenige Meter entfernt mit gelben ver.di-Streikwesten standen. Dass es wirklich "Judensterne" sein sollten, wurde jedem nach einem Blick auf das große Plakat klar, das an der Hausfront befestigt war. Dort stand in Frakturschrift: "Boykott! Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht im Babylon!"

Ein Sturm der Entrüstung brach los. Das Landeskriminalamt begann zu ermitteln. "Wie es sich für mich darstellt, hat der Betreiber des Babylon sein Kino mit Symbolen und Sätzen aus dem Nazi-Regime beschmiert, um auf einen innerbetrieblichen Konflikt aufmerksam zu machen", teilte der Autor Thees Ullmann auf Facebook mit. "Machen wir es einfach und kurz: Wer Symbole und Sprüche aus der dunkelsten Zeit Deutschlands und der ganzen Welt dazu nutzt, um auf seinen eigenen Kram aufmerksam zu machen, bei dem spiele, lese, rede ich nicht." Quasi über Nacht verlegte er seine im Babylon geplante Lesung. Er blieb mit dieser Entscheidung nicht allein, auch Bela B. wählte für sein Konzert kurzfristig einen anderen Ort.

Schlechtbezahlte Filmvorführer

Dass Timothy Grossmann jüdischen Glaubens sei, habe er nicht gewusst, sagte ver.di-Verhandlungsführer Andreas Köhn. Es interessiere ihn auch nicht, ob seine Verhandlungspartner einer Glaubensrichtung angehören - und welcher. Was ihn aber interessiere, sei die Tatsache, dass ver.di den Haustarifvertrag mit dem Kino zum 31. Dezember 2014 gekündigt hat, es zwei ergebnislose Verhandlungsrunden gab und ein Teil der Belegschaft, insbesondere die Filmvorführer, seit fünf Jahren keine Gehaltserhöhung erhalten haben. Seit 2010 seien die Eintrittspreise und die Preise für das Mieten des Kinos um rund 20 Prozent gestiegen. "Auch die Besucherzahlen haben sich deutlich erhöht", sagt Köhn. "Außerdem zahlt das Land Berlin jährlich 358.000 Euro und ab 2016 sogar 361.500 Euro als Grundfinanzierung an die Betreiber. Für Projekte und Veranstaltungen fließen weitere Zuschüsse." Er erwarte, dass das Babylon bei dieser großzügigen staatlichen Unterstützung die Beschäftigten so bezahlt, wie es im Bundestarifvertrag zwischen dem Verband HDF Kino und ver.di festgelegt ist. Bisher erhalten die Servicekräfte 8,50 Euro pro Stunde, die Filmvorführer 9,03 Euro. Nach Bundestarifvertrag stünden ihnen ein bis zwei Euro mehr pro Stunde zu.

Die Schmiererei wurde inzwischen entfernt, das Plakat ist verschwunden. Doch der Konflikt ist nicht ausgestanden. "Wir werden weiter streiken", betont Tobias Wiloth, der Sprecher der ver.di-Betriebsgruppe. Die Streikenden bitten die Babylon-Besucher auf Handzetteln, von einem Kinobesuch abzusehen oder im Haus wenigstens nichts zu verzehren. "Das ist eine legitime Bitte in einem Arbeitskampf", sagt Köhn. "Ein Streik hat nicht das Ziel, für die Geschäftsleitung angenehm zu sein."