Ausgabe 02/2021
Genug für alle
"Hier sind Weizen und Mais. Dort Sonnenblumen, Zuckerrohr und Bohnen." Der Gärtner Ekke Spiegel, der den Weltacker im Botanischen Volkspark in Berlin-Pankow betreut, zeigt auf verschiedene Stellen des Feldes vor ihm und erklärt die Verteilung der verbreiteten Ackerkulturen auf einer Fläche von 2.000 Quadratmetern. Diese Fläche reicht dafür, einen Menschen zu ernähren und mit anderen Gütern wie Baumwolle zu versorgen. "Die Ausmaße von einem Drittel Fußballfeld sind das immerhin", sagt Spiegel. Vor der Corona-Pandemie besuchten regelmäßig Schulklassen und interessierte Erwachsene den Pankower Weltacker und erhielten einen Eindruck davon, wie viel Raum nötig ist, um alle Menschen weltweit satt zu bekommen.
Schon bald 1,6 Erden nötig
Wenn wir so weiter wirtschaften wie bisher, sind für den Konsum der Weltbevölkerung allerdings schon bald 1,6 Erden nötig. Das hat der Umweltökonom Patha Dasgupta von der Universität Cambridge in einem aktuellen Bericht an die britische Regierung vorgerechnet. Dabei ist die Inanspruchnahme von Wasser, Boden, Luft und Ressourcen wie Kohle, Öl und Gas extrem ungleich verteilt. Für mehr Gerechtigkeit könnte die Weltacker-Idee sorgen, die der Journalist und Aktivist Benedikt Härlin 2013 entwickelt hat.
"Was auf 2.000 Quadratmetern wächst, kann ein einzelner Mensch in einem Jahr kaum vertilgen", sagt Härlin. Die Kalorien, die heute weltweit auf den Äckern produziert werden, reichen laut Berechnungen der Welternährungsorganisation FAO aus, rund 12 Milliarden Menschen mit Essen und anderen nachwachsenden Rohstoffen zu versorgen. Derzeit leben knapp 8 Milliarden Menschen auf der Erde – doch satt werden viele von ihnen nicht.
"Bei 5,5 Quadratmetern rechnerisch pro Tag haben wir die Wahl zwischen zweieinhalb Schnitzeln mit Bratkartoffeln, elf halben Maß Bier, zehn Portionen Gemüseeintopf, einem T-Shirt oder vier Mal Currywurst mit Pommes"
Benedikt Härlin, Journalist und Aktivist
Während in Nordamerika und Europa große Mengen an Lebensmitteln weggeworfen werden und ein erheblicher Teil der Feldfrüchte an Tiere verfüttert oder zur Sprit- und Stromproduktion verwendet wird, haben Menschen in den armen Ländern der Welt kaum das Nötigste: In Afrika und Asien stehen den meisten kleinbäuerlich wirtschaftenden Familien deutlich weniger als 2.000 Quadratmeter Ackerfläche pro Person zur Verfügung. In der Europäischen Union hingegen entfallen auf jede*n Bewohner*in durchschnittlich fast 3.000 Quadratmeter, so Härlin. Und jede*r entscheide täglich über den eigenen Flächenbedarf zum Sattwerden. "Bei 5,5 Quadratmetern rechnerisch pro Tag haben wir die Wahl zwischen zweieinhalb Schnitzeln mit Bratkartoffeln, elf halben Maß Bier, zehn Portionen Gemüseeintopf, einem T-Shirt oder vier Mal Currywurst mit Pommes", sagt Härlin.
Verzehr von Fleisch hat sich verdreifacht
Allein 2.000 Quadratmeter Ackerfläche werden auch benötigt, um das Futter für zwei Mastschweine zu erzeugen. "Weltweit steigt der Fleischverzehr, vor allen Dingen in den Schwellenländern. Er hat sich in den letzten 45 Jahren von knapp 100 Millionen Tonnen auf über 300 Millionen Tonnen verdreifacht", rechnet die Weltacker-Initiative in einer Broschüre vor. Und neben dem steigenden Fleischkonsum treiben auch der Anbau von Energiemais und Lebensmittelverschwendung den Flächenverbrauch in die Höhe.
Sinnvoll wäre die Stärkung der Frauen beim Landbesitz. Denn – auch das ist in der Broschüre zu lesen – es arbeiten zwar viele Frauen auf den Äckern der Welt, doch von "der fruchtbaren Erde gehört ihnen nur ein Achtel". Gleichzeitig essen sie weniger Fleisch. "Hätten Frauen, besonders auf dem Land, die gleichen Rechte und Chancen wie Männer, gäbe es sehr viel weniger Hunger und Mangelernährung auf der Welt."
Wie viel Ackerland für eine bestimmte Mahlzeit nötig ist, das zeigt im Pankower Volkspark anschaulich das "Flächenbuffet": Etwa einen halben Quadratmeter Anbaufläche für Weizen, Tomaten und Kräuter benötigt der Teller Spaghetti mit Tomatensauce (ohne Käse), für Spaghetti Bolognese ist dagegen wegen des Hackfleischanteils mehr als ein Quadratmeter Acker erforderlich. Vor allem für Kinder und Jugendliche werden so in den Weltacker-Workshops die Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft und dem, was bei ihnen auf dem Teller landet, anschaulich und begreifbar.
Dass es heute unter anderem in Berlin-Pankow, Landshut, im schweizerischen Attiswil und Nuglar sowie im kenianischen Gilgil Acker-Projekte gibt, geht auf die Präsentation des Weltagrarberichts vor gut zehn Jahren zurück, mit dem Schwerpunktthema Hunger. Gesine Schaumann, die beim Weltacker-Träger "Zukunftsstiftung Landwirtschaft" für Veranstaltungen zuständig ist, sagt: "Das war alles sehr theoretisch und trocken. Benny Härlin, der schon bei der Zukunftsstiftung Landwirtschaft arbeitete, hatte dann die Idee, die weltweite Ackerfläche rechnerisch gleichmäßig auf alle Menschen zu verteilen – inklusive Zukunftsreserve. Dabei kamen 2.000 Quadratmeter Ackerland für jede*n heraus plus Anteile von Meer, Wald und Weideland."
Der erste Weltacker entstand 2015 in Berlin-Gatow, der zweite im Rahmen der Internationalen Gartenschau in Berlin-Marzahn ein Jahr später. Und seit 2018 können sich nun die Besucher*innen des Botanischen Volksparks einen Überblick verschaffen, wie viel Fläche ihnen für Nahrung, Kleidung und Transport zur Verfügung stünde, wenn es gerecht zuginge auf der Welt.
Mehr erfahren unter 2000m2.de