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Dort, wo sich Beschäftigte für bessere Arbeitsbedingungen organisieren, können sie auch gewinnenChristian Jungeblodt

Es waren harte Verhandlungen – besonders die letzte Runde Ende Januar. Nach über 22 Stunden Verhandlungsmarathon waren die Beschäftigten am frühen Morgen des 27. Januar am Ziel: Ein Ergebnis in der Tarifauseinandersetzung um einen Entlastungstarifvertrag am Jüdischen Krankenhaus Berlin (JKB) stand. Streikversammlung und Tarifkommission stimmten ihm zu.

„Das Ergebnis ist ein großer Erfolg für die streikenden Beschäftigten am JKB und für die Gesundheitsversorgung Berlins“, sagte ver.di-Verhandlungsführerin Gisela Neunhöffer. „Es zeigt: Dort wo sich Beschäftigte in den Krankenhäusern für bessere Arbeitsbedingungen und eine gute Patientenversorgung einsetzen und sich organisieren, können sie auch gewinnen.“

Der Tarifvertrag schreibt für fast alle Bereiche in der Patientenversorgung ­Personalbesetzungen und einen Belastungsausgleich bei Unterschreitung der Vorgaben fest. Er gilt nicht nur für die Pflegefachkräfte, sondern auch für Service- und Pflegehilfskräfte sowie für Thera­peutinnen und Therapeuten. Ab 2025 erhalten die Beschäftigten nach neun unterbesetzten Diensten eine Freischicht, ab 2026 bereits nach sieben. Bei einer Unterschreitung von über 50 Prozent der Personalbesetzung erhalten die Beschäftigten den doppelten Belastungsausgleich. Damit bewegt sich der Tarifabschluss auf dem Niveau des Tarifvertrags bei den Vivantes Kliniken.

„Wir haben uns nicht spalten lassen und in den letzten Wochen viel Unterstützung aus der ganzen Stadt bekommen. Das hat uns den Rücken gestärkt!“
Daniel Reuter, Pflegekraft und Mitglied der ver.di-Tarifkommission

Beispielloser Zusammenhalt

„Ich bin sehr stolz auf das, was wir geleistet haben und in den letzten drei ­Wochen auf die Beine gestellt haben – vor allem mit diesem Zusammenhalt“, sagt Alexandra Schüler, MFA im Herz­katheterlabor des JKB und Mitglied in der ver.di-Tarifkommission. Denn anfangs hatte sich der Arbeitgeber ge­weigert, für alle Berufsgruppen zu verhandeln. „Wir haben bis zum Schluss durchgehalten, nichts zu unterschreiben, bis nicht jeder berücksichtig wurde!“

„Wir haben uns nicht spalten lassen und in den letzten Wochen viel Unterstützung aus der ganzen Stadt bekommen. Das hat uns den Rücken gestärkt!“ sagt auch Daniel Reuter, Pflegekraft und Mitglied der ver.di-Tarifkommission am JKB. Mit dem erkämpften Tarifvertrag werden Mindestpersonalbesetzungen festgeschrieben. Vorbild sind zwei Dutzend andere Kliniken in Deutschland, in denen ver.di mit den Beschäftigten bereits Entlastungstarifverträge durchgesetzt hat. In den nächsten Wochen werden nun alle ver.di-Mitglieder am JKB in einer Urabstimmung befragt, ob sie dem Verhandlungsergebnis zustimmen. Sollte dies der Fall sein, tritt der Tarifvertrag ab Dezember 2024 mit einer Laufzeit bis Ende 2026 in Kraft.

Ein harter Weg

Vorangegangen waren Jahre, in denen die Beschäftigten auf den dramatischen Personalmangel und die dadurch unzureichende Patientenversorgung am JKB hingewiesen hatten. Unzählige Überlastungsanzeigen waren gestellt worden. „Allein in den letzten zwei Jahren gingen pro Jahr im Durchschnitt etwa 400 Überlastungsanzeigen ein“, berichtete Alexandra Schüler auf einer Pressekonferenz Anfang Januar. „Viele Kolleg*innen wechselten in Häuser, wo es bereits ­einen Entlastungstarifvertrag gab.“

Im Sommer letzten Jahres forderten die Beschäftigten Verhandlungen für einen Tarifvertrag Entlastung. Der ­Arbeitgeber ließ ein Ultimatum verstreichen und verzögerte so das Ergebnis. Mitte Dezember sprachen sich 94 Prozent der ver.di-Mitglieder in einer Urabstimmung für einen Erzwingungsstreik aus. Der begann am 8. Januar. Mehrere Stationen wurden geschlossen, ein Notdienst zur Notfallversorgung organisiert. Mit mehreren öffentlichkeitswirksamen Aktionen machten die Streikenden auf die unfassbaren Zustände am JKB aufgrund des Personalmangels und ihre Situation aufmerksam – unter anderem bei einem Protest vor dem Berliner Abgeordnetenhaus.

Am 22. Januar gingen die Verhandlungen weiter. Der Vorstand des JKB wies immer wieder auf eine angebliche finanzielle Schieflage hin. Die Beschäftigten veröffentlichten eine Resolution: Die ­Ursache sei nicht ihr Streik, sondern die unzureichende Krankenhausfinanzierung und die Weigerung des Berliner Senats die gesetzlich vorgeschriebenen Investitionskosten zu bezahlen. „Wir setzen uns mit unserem Streik für den Erhalt des JKB ein – nur mit guten Arbeitsbedingungen hat das JKB eine Zukunft.“ Mit Hilfe von ver.di haben sie sich nun diese Zukunft erkämpft. „Es ist hoffentlich auch wegbereitend für andere Krankenhäuser, in denen es noch keinen Entlastungstarifvertrag gibt“, wünscht sich Alexandra Schüler. „Man sieht: Es ist möglich, man muss sich nur Gehör verschaffen und sich wehren.“