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Protest für das Recht auf Streik, weil Beschäftigte der Kirchen ihren Arbeitgebern eben nicht alles glaubenFoto: Kay Herschelmann

Die Kirchen zählen mit ihren unterschiedlichen Einrichtungen bei Caritas und Diakonie und einer Beschäftigtenzahl von rund 1,8 Millionen Menschen zu den größten Arbeitgebern Deutschlands. Sie betreiben Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und -dienste, Einrichtungen der Behinderten- und Jugendhilfe, Rettungsdienste, Kitas und vieles mehr. Dabei setzen Caritas und Diakonie, wie andere Arbeitgeber auch, gängige Praktiken wie Tarifflucht, sachgrundlose Befristungen oder Leiharbeit ein. Sie sind folglich nicht besser als andere, bestehen aber auf Sonderregeln im Arbeitsrecht – für sie gilt das "kirchliche Arbeitsrecht". Sie können Pflegekräfte, Erzieher*innen oder Verwaltungsangestellte kündigen, wenn diese aus der Kirche austreten oder den Kirchenoberen ihr Privatleben missfällt. Kirchlich Beschäftigte haben Streikverbot und geringere Mitbestimmungsrechte und können daher schlechter Einfluss auf ihre Arbeitsbedingungen nehmen.

Dieses Ungleichgewicht wird von ver.di schon lange kritisiert. Am 5. März 2024 übergab die Gewerkschaft nun eine entsprechende von mehr als 37.700 Menschen unterstützte Petition. Die Petition fordert, dass endlich Schluss ist mit der Diskriminierung von Kolleg*innen aufgrund privater Entscheidungen. Ein weiterer Kritikpunkt ist das Streik-verbot für kirchliche Beschäftigte.

Zeit für Druck

Vor dem Bundesarbeitsministerium wurden die gesammelten Unterschriften vom SPD-Bundestagsabgeordneten Mathias Papendieck, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, entgegengenommen. Als ehemaliger Betriebsratsvorsitzender bei Edeka und ver.di-Mitglied spricht er aus Erfahrung, als er anlässlich der Übergabe der Unterschriften die Notwendigkeit fester Regeln erwähnt. Er unterstützt die Forderung der Beschäftigten und findet es "grundsätzlich gut, dass ein Dialog geführt wurde", sieht aber nun die Zeit gekommen, "gemeinsam Druck auszuüben".

Mit dem Dialog ist der im vergangenen Jahr geführte zwischen den Kirchen und der Bundesregierung gemeint. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP sind die Wahlkampf-Versprechen auf eine vage Formel zusammengeschnürt. Vereinbart wurde, gemeinsam mit den Kirchen zu prüfen, "inwieweit das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann".

Dass Dialog allein nicht ausreicht, findet auch Sylvia Bühler, Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes und Leiterin des Fachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft: "Inzwischen wissen wir, was die Prüfung, was die Gespräche gebracht haben: Nichts! Die Kirchenprivilegien werden nicht angetastet. Das ist völlig aus der Zeit gefallen. Wir geben keine Ruhe, bis kirchliche Beschäftigte die gleichen Rechte haben wie ihre Kolleg*innen bei den anderen Wohlfahrtsverbänden."

Finger weg vom Streikrecht

Für ein Ende der Ungleichbehandlung müssen die Sonderregeln für Kirchen aus Paragraf 9 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gestrichen werden. Auf dieser gesetzlichen Grundlage ist es zum Beispiel möglich, dass Kirchen Ärzt*innen, Hebammen oder Erzieher*innen kündigen, die aus der Kirche ausgetreten sind – Entscheidungen, die Menschen privat und alleine mit sich ausmachen sollten.

Ein heikler Aspekt im kirchlichen Arbeitsrecht ist das Streikrecht. Obwohl die Kirchen ihren Beschäftigten das Streikrecht verwehren und durch eigene "kooperative" Konfliktlösungsverfahren ersetzen möchten, besteht faktisch ein Streikrecht für die Mitarbeiter*innen. Daniel Wenk, Sprecher der ver.di-Projektgruppe Diakonie, versteht das Streikrecht als "Kernstück der Demokratie" und will daran nicht rütteln lassen: "Der Verzicht von Arbeitskampf wurde nie mit den kirchlich Beschäftigten vereinbart. Die Idee kommt einzig und allein von der Arbeitgeberseite. Dabei ist das Streikrecht auch für kirchliche Beschäftigte unverzichtbar und grundlegend für demokratische Arbeitsbeziehungen. Tarifverträge auf Augenhöhe setzen den Arbeitskampf voraus und sind essenziell für die Tarifautonomie."

Ohne die Möglichkeit zu streiken, so Wenk, stünden die Leute quasi mit leeren Händen da und müssen um jede Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen betteln. Und das sei einfach nicht fair. "Das Streikrecht ist ein Kernstück unserer Demokratie, die Beschäftigten in den kirchlichen Einrichtungen haben das Streikrecht und nehmen es sich. Das zeigt die starke Beteiligung von kirchlich Beschäftigten durch Partizipationsstreiks in Tarifrunden, im Sozial und Erziehungsdienst, im TVöD und zuletzt in der Tarifrunde der Länder, und das ist auch gut so!"