Die Bertelsmann-Stiftung will Deutschland verändern. Ihr Einfluss auf die öffentliche Meinung, auf Schulen, Hochschulen und Kommunen ist umstritten

Von Annette Jensen und Claudia von Zglinicki

Bertelsmann ist mehr als ein Buchclub. Viel mehr. Der Konzern ist das viertgrößte Medienunternehmen der Welt. Die RTL Group und die Verlage Random House und Gruner & Jahr gehören unter anderem dazu. 1977 gründete Reinhard Mohn, der Chef der AG, die Bertelsmann-Stiftung als "Reformwerkstatt". Keine andere Stiftung in Deutschland hat so viel Geld wie sie. Doch nicht allein ein Etat von mehr als 65 Millionen Euro im Jahr macht sie zu einer der einflussreichsten Institutionen der Republik. Entscheidend ist, dass sie wesentlich geschickter vorgeht als die meisten anderen Lobbyorganisationen. Sie arbeitet auf den Gebieten Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Gesundheit und Kultur. Mit Studien, Umfragen, Kongressen, Kampagnen ("Du bist Deutschland") und einer ausufernden Zahl von Projekten nimmt Bertelsmann überall Einfluss. Ob es um den demographischen Wandel, das Verhältnis von Religion und Gesellschaft, Familien oder internationale Gesangswettbewerbe geht - die Stiftung ist dabei.

Ihr Ziel ist ein Staat, der ähnlich wie ein Unternehmen geführt wird. Möglichst viele öffentliche Aufgaben sollen Private erledigen - zum Beispiel der Bertelsmann-Konzern. Um dieses Ziel anzusteuern, geht die Stiftung langfristig vor. Sie hält Kontakt zu Politikern aller Couleur, zu Wissenschaftlern und Medienmachern. Durchaus flexibel spannt sie unterschiedliche Interessengruppen für sich ein und nutzt dabei häufig deren Vokabular und Problemerfahrungen. So erscheinen ihre Vorschläge zumindest diskussionswürdig, häufig sogar attraktiv. Die Lösungen, die die Stiftung dann aus dem Hut zaubert, sind für die Kooperationspartner allerdings meist ambivalent. Schließlich sind sie mit unschönen Nebenwirkungen verbunden - derweil sie die Milliarden des Bertelsmann-Konzerns weiter mehren. Dabei kann sich der Konzern auf öffentliches Geld stützen: Er übertrug drei Viertel seines Aktienkapitals auf die Stiftung und sparte dadurch gut zwei Milliarden Erbschafts- oder Schenkungssteuer. Außerdem ist die jährliche Dividendenzahlung an die Stiftung steuerfrei.

Autonomie in Klassenzimmern

Beispiel Schulen. Der Einfluss der Kultusbürokratie muss zurückgedrängt und die Autonomie in den Klassenzimmern gestärkt werden - so lautet der Schlachtruf der Bertelsmann-Stiftung. In den Ohren von Reformpädagogen klingt das zunächst wie Musik: Schließlich hatten sie diese Ideen in den 70er Jahren selbst verfolgt. Zugleich erleben sie im Alltag eine andere Entwicklung: Die Klassen werden größer, die Ausstattungen schlechter. Während die Aufgaben der Lehrer wachsen, bekommen sie immer weniger Fortbildungen, das Image ihres Berufsstandes sinkt. In der Situation sehen sie sich mit den Anforderungen und Verlockungen von "regionalen Bildungsbüros" und Projekten für eine "eigenverantwortliche Schule" konfrontiert, die die Bertelsmann-Stiftung zusammen mit staatlichen Behörden in mehreren Bundesländern auf den Weg gebracht hat.

Daten, Daten, Daten

Jede beteiligte Schule soll zunächst eine Bestandsaufnahme ihrer Leistungen machen und entsprechende Daten erheben. Wie sie dabei vorgeht, kann sie im Prinzip selbst entscheiden - aber wenn sie will, darf sie auf ein günstiges Bertelsmann-Paket mit vorgefertigten Fragebögen für Lehrer, Schüler und Eltern zurückgreifen. "Das Steuerungsinstrument SEIS besteht aus einem international tragfähigen Qualitätsverständnis von guter Schule", versichert die Stiftung und liefert auch gleich die Software für die Auswertung mit. Die meisten Schulen greifen zu; schließlich müssten sonst die Lehrer, die schon jetzt überlastet sind, selbst Kriterien und Erhebungsmethoden entwickeln.

Auf diese Weise erfährt die Stiftung des Medienkonzerns Bertelsmann nicht nur, welche Medien in einer Schule eingesetzt werden. Es gelingt ihr auch, die von ihr definierten Leistungskriterien auf breiter Ebene in den Schulen zu verankern. So werden zum Beispiel nur Daten zu Mathematik und Deutsch erhoben; ein gutes Niveau in Musik, Geschichte, Sport und Kunst erscheint für die Qualitätsprüfung dagegen als irrelevant. Auch wenn die Kinder lernen, kritisch und selbstständig zu denken, bringt das keine Pluspunkte. Die unterschiedlichen sozialen Voraussetzungen der Schüler spielen bei der Erhebung ebenfalls keine Rolle.

Am Computer in Würzburg

Bisher verfügt nur Bertelsmann über die kompletten Datensätze; öffentliche Vergleiche zwischen den Schulen gibt es noch nicht. "Doch unsere Schulbürgermeisterin hat schon gesagt, dass sie ein Ranking wegen der Wahlfreiheit der Eltern gern hätte", sagt Andreas Langbein, Geschichtslehrer an einer Freiburger Realschule. Auch die Verteilung der öffentlichen Gelder aufgrund von SEIS-Ergebnissen hält er für nicht unwahrscheinlich. Die Konsequenzen wären klar: Wer keine engagierten Eltern hat, wird weiter abgehängt. Ganz nebenbei gelingt es der Bertelsmann-Stiftung, einen erheblichen Teil der Steuergelder für solche Projekte zu binden. In Freiburg zahlt die Stadt 75000 Euro, das Land 320000 Euro, während die Stiftung lediglich 48000 Euro beiträgt und dennoch die Federführung innehat.

Auch an anderer Stelle erweist sich die Stiftung als Meister im Durchdringen staatlicher Strukturen. Die 100-prozentige Bertelsmann-Tochter Arvato (Umsatz 2006: 4,8 Milliarden Euro) konzentriert sich auf IT-Dienstleistungen und Aufgaben der kommunalen Verwaltung. East Riding in Großbritannien kann als Pilotprojekt für den Umbau der Verwaltung nach privatwirtschaftlichem Muster gelten; dort betreut Arvato seit 2005 fast die gesamte Verwaltung der Stadt, zahlt Sozialleistungen aus, treibt Steuern ein. Auch ein deutsches Beispiel ist in Arbeit. Die Stadt Würzburg ging im März 2007 mit Arvato eine Partnerschaft ein; Ziel sollen Bürokratieabbau und bürgernahe Dienstleistungen sein. Die Kooperation, der der Stadtrat mit 100 Prozent der Stimmen zustimmte, ist auf zehn Jahre angelegt und soll vieles verändern. Das Zauberwort heißt E-Government; Bürger/innen sollen sich für vieles, was in der Verwaltung zu erledigen ist, nur noch an ihren Computer setzen oder ins Bürgerbüro gehen, das für alle Fragen da ist und weite Wege durchs Rathaus erspart. Arvato entwickelt im Auftrag der Stadt das EDV-System für die Verwaltung. Finanziert werden soll das über Personaleinsparungen. Von etwa 650 Menschen, die in Kernbereichen der Würzburger Verwaltung beschäftigt sind, können nach Schätzung von Arvato 74 wegfallen und künftig woanders für die Stadt arbeiten. 27 Millionen Euro sollen so eingespart werden, 17 davon sind für Arvato gedacht, zehn für die Stadt - wenn's läuft wie geplant.

Der Personalrat und ver.di sind mehr als besorgt, was die künftige Personalpolitik betrifft. Sie lehnen jede Form von Outsourcing, Verlagerung von Betriebs- oder Verwaltungsteilen und Betriebsübergänge ab. "Wenn Stellen wegfallen, darf das nicht zu Nachteilen für die Beschäftigten führen", sagt Gerald Burkard, ver.di-Bezirksgeschäftsführer in Würzburg. "Auch Schwerbehinderte müssen weiter beschäftigt werden." Dass das neue EDV-System nicht auf dem freien Markt in Auftrag gegeben wurde, sondern es zu dieser Art Partnerschaft kommt, bedauert Burkard. "Wenn sie es hinkriegen", fügt er hinzu, "hat Arvato ein EDV-System für jede Stadt, mit Exklusivrecht. Das wäre ihr Einstieg in viele Stadtverwaltungen." Die Würzburger Stadträte teilen die Bedenken nicht. "Wir sind einsame Rufer in der Wüste", meint Gerald Burkard.

Das Bürgerbüro übrigens sollte im Januar 2008 auf einer Fläche von 380 Quadratmetern eröffnet werden und 340000 Euro kosten. Jetzt ist von 630 Quadratmetern und zusätzlichen 350000 Euro die Rede. Und der Termin steht in den Sternen.

Der Trick mit der Umfrage

Wie die Bertelsmann-Stiftung vorgeht, wenn es um die Beeinflussung der öffentlichen Meinung geht, lässt sich auch beim Thema Studiengebühren belegen. Das von ihr mitgetragene Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) nutzte zwei Umfragen, die es beim Meinungsforschungsinstitut forsa in Auftrag gegeben hatte. Die Mehrheit der Studierenden sei für Gebühren, behauptete das CHE daraufhin. Was das Institut verschwieg: Die Studierenden hatten in der Umfrage gar nicht die Möglichkeit, sich gegen Gebühren auszusprechen, sondern konnten nur unterschiedliche Modelle bewerten. Die Hochschulrektorenkonferenz, die ebenfalls am CHE beteiligt ist und sich damals noch mehrheitlich gegen Studiengebühren aussprach, ließ das Institut gewähren. Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Klar ist: Die Bertelsmann-Stiftung vergibt viele gut dotierte Forschungsaufträge.

Siehe auch Bericht auf Seite 11

Kooperation beendet

Auf dem 2. ver.di-Bundeskongress haben die Delegierten mit großer Mehrheit beschlossen, die Aktivitäten und Ziele der Bertelsmann-Stiftung und der Bertelsmann-Tochter Arvato im Zusammenhang mit der Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen kritisch zu untersuchen und für den Zeitraum der Prüfung keine neue Zusammenarbeit zwischen ver.di und der Stiftung und/oder Arvato zu vereinbaren.

Der ver.di-Bundesvorstand beschloss Ende November, das 6. Potsdamer Forum für Führungskräfte im öffentlichen Dienst vom 28. bis 29. Mai 2008 mit der Hans-Böckler-Stiftung und dem Verlag Die Zeit als Kooperationspartnern zu veranstalten. Im Beschluss heißt es, die "bisherige erfolgreiche Kooperation mit der Bertelsmann-Stiftung haben wir ... beendet."

Ende Oktober veranstalteten attac, ver.di und andere Organisationen einen kritischen Kongress zur Bertelsmann-Stiftung in Frankfurt am Main. Unter dem Motto "Das Schattenkabinett aus Gütersloh" setzten sich 220 Teilnehmer/innen mit der Denkfabrik auseinander.

www.bundeskongress2007.verdi.de www.bertelsmannkritik.de, www.attac.de/frankfurt