Falsche Ernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel kosten das deutsche Gesundheitssystem jedes Jahr Milliarden. Ein Präventionsgesetz soll nun für mehr Vorbeugung sorgen - doch es ist umstritten

Besser vorsorgen: Kreislauf-Belastungstest

Die so genannten Volkskrankheiten belasten zunehmend das Gesundheitssystem. So betragen die Ausgaben für Herz-Kreislauferkankungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 35 Milliarden Euro im Jahr. Bei den oftmals durch Bewegungsmangel und einseitige Belastungen verursachten Muskel- und Skeletterkrankungen sind es etwa 24 Milliarden Euro. Viele dieser chronischen Erkrankungen sind auf eine ungesunde Lebensführung zurückzuführen. Doch auch ungesunde Arbeitsbedingungen, etwa ergonomisch falsch gestaltete Arbeitsplätze im Büro oder Stress auf der Arbeit, sind häufig mitverantwortlich.

Entwurf in der Kritik

Seit einigen Jahren schon versuchen die gesetzlichen Krankenkassen dieser Kostenentwicklung mit Präventionskursen oder betrieblichen Gesundheitsbündnissen entgegenzuwirken. Sie setzen dabei meist auf ein vielfältiges Prämien- oder Bonussystem, um ihre Mitglieder für die Teilnahme an den Präventionskursen zu gewinnen (siehe Kasten).

Geplant ist zudem seit längerem, Vorsorgemaßnahmen flächendeckend und kassenübergreifend in Deutschland einzuführen. Das können Kurse für Eltern und Kinder zur richtigen Ernährung oder zur Stressbewältigung sein. Aber auch betriebliche Maßnahmen, wie etwa Entspannungsübungen oder die Einführung von Stehpulten.

Doch mit ihrem Ende November vorgelegten Entwurf zu einem Präventionsgesetz stößt Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) auf deutliche Ablehnung. Selten einig sind sich dabei Krankenkassen, Bundesärztekammer und Gesundheitspolitiker sowohl der Opposition als auch aus den Reihen der Regierungskoalition.

Vorgesehen ist, dass in den 16 Bundesländern jeweils ein Präventionsrat eingerichtet wird, der für die Umsetzung der Maßnahmen vor Ort verantwortlich ist. Zudem soll ein "Nationaler Präventionsrat" für die Koordination und Qualitätssicherung gebildet werden.

"Das Präventionsgesetz wird vielen Versicherten den Zugang zu Gesundheitsangeboten erleichtern", heißt es in einer Informationsschrift des Gesundheitsministeriums. Das wird grundsätzlich von allen beteiligten Verbänden und Organisationen begrüßt. Aber: "Der vorliegende Gesetzentwurf greift hier viel zu kurz", sagt Herbert Weisbrod-Frey, der in der Bundesverwaltung von ver.di für Gesundheitspolitik zuständig ist. Im Vordergrund stehe vor allem das Verhalten der Einzelnen, sagt Weisbrod-Frey. Wichtig sei aber auch eine Änderung der gesundheitsschädlichen Verhältnisse und der krank machenden Umwelt. "Wir wissen doch, dass es ungesunde Wohnviertel gibt." Hier sei zum Beispiel unbedingt eine Verknüpfung mit Städteplanern und Architekten notwendig. "Dieser Ansatz ist in dem Gesetzentwurf jedoch überhaupt nicht vorgesehen", sagt Weisbrod-Frey.

Umstrittene Finanzierung

Ein Streitpunkt ist auch die Finanzierung der Präventionsprogramme. So soll die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) die Hauptlast für den auf 350 Millionen Euro veranschlagten Präventionstopf tragen. 250 Millionen Euro sollen sie dafür zur Verfügung stellen. Weitere Einzahler sollen unter anderem die gesetzliche Pflegeversicherung (14,3 Millionen) und die Unfallversicherung (28,6 Millionen) sein. Vorgesehen ist auch, dass die privaten Krankenkassen einen Beitrag leisten. Eine Summe wird in dem Entwurf jedoch nicht genannt: Sowohl Beiträge der privaten Pflegeversicherungen als auch der Beamten sind nicht vorgesehen, obwohl auch sie oder ihre Kinder von den Präventionsprogrammen profitieren.

Kassen beugen bereits vor

Die Privaten Krankenkassen lehnen grundsätzlich ab, einen Anteil an den Präventionskosten zu übernehmen. "Prävention im Sinne von gesamter Lebensführung mit dem Ziel der Krankheitsvermeidung" sei eine "gesamtgesellschaftliche Aufgabe" und müsse daher "über das Steuersystem finanziert" werden, meint dazu Volker Leienbach vom Verband der privaten Krankenversicherungen.

Auch die gesetzlichen Krankenkassen sind mit Ulla Schmidts Finanzierungsplan nicht einverstanden. Sie kritisieren vor allem, dass Bund und Länder sich vollständig aus der Finanzierung der gesundheitlichen Vorbeugung zurückziehen. "Aufgaben, für die der Bund die Verantwortung trägt - wie die Durchführung und Finanzierung bevölkerungsweiter gesundheitlicher Aufklärungsmaßnahmen" -, würden auf die Sozialversicherung übertragen, kritisieren die Spitzenverbände der Krankenkassen in einer Stellungnahme den Gesetzentwurf.

Jetzt schon geben die Krankenkassen mehr als gesetzlich gefordert für Prävention und Gesundheitsförderung aus: 232 Millionen Euro waren es im Jahr 2006 nach Angaben des Präventionsberichts, der im Januar von den Spitzenverbänden der Krankenkassen vorgelegt wurde. Die gesetzlichen Krankenkassen befürchten, dass sie künftig viele ihrer Präventionsmaßnahmen nicht mehr anbieten können, wenn die Gelder in den staatlichen Präventionstopf abfließen.

Eine Einigung über das Präventionsgesetz soll nach der Bürgerschaftswahl in Hamburg, am 24. Februar, versucht werden.

Bonus für Vorsorge

Vorsorgeprogramme werden für Krankenkassen immer wichtiger. Mit Fitness-Programmen und Gesundheitskursen, in denen über richtige Ernährung informiert wird, oder Übungen zum Stressabbau, können die Versicherten bei einigen Krankenkassen Bonuspunkte sammeln. Bei der Barmer zum Beispiel gibt es für die erfolgreiche Teilnahme an einem Volkshochschulkurs für autogenes Training hundert Bonuspunkte. Die gleiche Punktzahl wird gutgeschrieben, wenn man an einem Fitness-Test in einem Turnverein teilnimmt. Zu gewinnen sind Sachprämien oder Bargeld. Für 500 Punkte gibt es bei der Barmer 30 Euro. Versicherte bei der AOK Baden-Württemberg, die den Bonus-Tarif nutzen, bekommen sogar 30 Euro auf die Hand, wenn sie ein Sportleistungsabzeichen ablegen.

Über diese individuelle Präventionsmaßnahmen hinaus organisieren und finanzieren die Krankenkassen aber auch überregionale Informationskampagnen. So beteiligte sich die AOK zum Beispiel an der jährlichen Biobrotbox-Aktion. In mehreren Städten wurden zu Schulbeginn Frühstücksboxen mit Bio-Lebensmitteln und einer Informationsschrift für die Eltern an die Erstklässler verteilt.