Das europäische Netzwerk @work fragt auf Theaterbühnen nach dem Wert der Arbeit. In Schweden sind Arbeiter und Gewerkschafter gleichermaßen begeistert

Schauspieler der schwedischen Gruppe Teatermaskinen bei der Arbeit

Berlin, Ende Juni 2007. In den Sophiensälen, dem ehemaligen Handwerkervereinshaus im alten Scheunenviertel, legen zwei Frauen und vier Männer, die sich als "Berlin n@work" bezeichnen, in einer Performance Rechenschaft über ihre Arbeit als Künstler ab. Es geht um Geld, darum, wie viel Geld Arbeit wert ist, wie viel Geld genau genommen ihre künstlerische Arbeit wert ist.

Sie versuchen die Frage im Gespräch mit dem Publikum zu klären. Würde jeder Einzelne auch ein höheres Eintrittsgeld bezahlen, um sie und ihren Dialog über die Arbeit zu erleben? Damit die Zuschauer mehr als nur Worte präsentiert bekommen, bauen sie sich zu einer Menschenpyramide auf einer Waschmaschine mitten im Raum auf. Die Übung soll die Gedanken beschleunigen. Und formelhaft wie ein Mantra flüstert zwischendurch Jörn Burmester, einer von ihnen, immer wieder den Satz "No one should ever work" ins Mikrofon, niemand sollte jemals arbeiten. Schön wär's.

Der deutsche Gastarbeiter

Eskilstuna, Schweden, Anfang Dezember 2007. Jörn Burmester arbeitet als Gastarbeiter bei Teatermaskinen, einer schwedischen Theater- und Performancegruppe. Als Deutscher, der kaum Schwedisch spricht, ist er zunächst für die Drecksarbeit zuständig, bürstet die Bühnenbretter in einem Stück, das sich "Szenen aus der Arbeitswelt" nennt. Und die haben es in sich. Das hat nichts mehr mit traditionellem Arbeitertheater zu tun, das Biedermann und Brandstifter aufführt. Auch hier geht es um den Wert der Arbeit. Aber hier vergewaltigen mal eben zwei Arbeiterinnen einen Arbeiter. Es ist Ole, im wirklichen Leben Krankenpfleger und inzwischen auch Schauspieler. In einer anderen Szene erzählt er von seiner Arbeit in einem Behindertenheim: "Ich entferne die Fäkalien von verkrüppelten Körpern. Die Leute verachten mich wegen meines Jobs. Ich weiß das. Ich sehe das an meinem Lohn." Ole versteht deshalb auch nicht so recht, warum er vor Publikum über seinen Job reden soll. Für ihn ist das mit der Arbeit ganz einfach: "Es geht ums Überleben, das ist alles."

Berlin, Eskilstuna, zwei Stücke, ein Thema: Was ist Arbeit wert? Jörn Burmester, seine Berliner Gruppe, die Schweden von Teatermaskinen, weitere Schauspieler, Performancekünstler und auch Gewerkschafter in England, Dänemark, Finnland und Griechenland arbeiten sich seit 2005 an dieser Frage ab. Dafür haben sie sich zum @work-Netzwerk zusammengeschlossen, dafür treffen sie sich einmal im Jahr. Nicht, um die Frage nach dem Wert der Arbeit tatsächlich zu beantworten, sondern um "mit verschiedenen Kunstformen am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen", wie Jörn Burmester sagt.

Jörn Burmester würde auch als Bauarbeiter oder Müllmann eine gute Figur machen. Er ist Mitte 40, groß, kräftig, das aschblonde Haar kurz rasiert wie die Bartstoppeln im Gesicht. Ein Mann, der zupacken kann, aber mit seiner Stimme auch viele Lagen und daher auch viele Rollen beherrscht. Den sich anbiedernden Gastarbeiter nimmt man ihm genauso ab wie den Anführer, wenn er die anderen auf der Bühne zusammenstaucht.

Über den Wert seiner Arbeit kann er auch nicht mehr sagen als in den Stücken, in denen er mitspielt. Aber er weiß genau, welchen Preis er zahlt. "Kunst ist Lebenspraxis", sagt er. Er habe den Luxus, ständig herumzukommen, und das auch mit nur wenig Geld. 6000 bis 10000 Euro verdiene er als Performancekünstler im Jahr. Das ist wenig, aber dank des Netzwerks unter den etwa 400 in Europa lebenden Performern sei es möglich, für die Kunst zu leben. Nur eine Familie könne er nicht haben: "Leben und Arbeit lassen sich nicht trennen. Wer von uns Familie zu leben versucht, scheitert meistens."

Der schwedische Gewerkschafter

Mit seiner Arbeit ist er bisher nicht gescheitert. Vor allem das schwedische Stück läuft landauf, landab mit großem Erfolg und soll in diesem Jahr in Englisch zunächst die Arbeiterstadt Liverpool erobern. Der Erfolg in Schweden ist vor allem auch der guten Vernetzung mit den Gewerkschaften dort geschuldet. Wo 80 Prozent der arbeitenden Bevölkerung Mitglied einer Gewerkschaft sind, muss das nicht verwundern. Aber es braucht auf Gewerkschaftsseite auch einen Mann wie Ingemar E L Göransson, der beim schwedischen Dachverband der Gewerkschaften für die Bereiche Jugend und Kultur zuständig ist. Für ihn ist Teatermaskinen die beste freie Theatergruppe in Schweden. Ihr Stück über die Arbeitsbedingungen von heute findet er provokativ und gerade deshalb gut. "Es gibt den Arbeitern ein wenig ihren Stolz zurück", sagt er. Am besten gefalle ihm die Szene im Callcenter: "Da haben bisher auch viele Gewerkschafter verstanden, was diese Arbeit für die bedeutet, die sie machen. Wir alle kennen diese Anrufe abends um 20 Uhr", sagt er und betont: "Wir alle sind nicht immer nett zu diesen Callcenter-Mitarbeitern." Für Ingemar E L Göransson heißt das: "Die Gewerkschaften müssen mit den Kulturarbeitern zusammenarbeiten. Es ist ein Weg, etwas zu sagen und zu bewegen."

Die Stahlarbeiter

Jetzt müssen die Schauspieler von Teatermaskinen zwar manchmal bereits um 9 Uhr morgens bei einer gewerkschaftlich organisierten Fortbildung für Callcenter-Angestellte auftreten, aber seither haben sie auch viel bewegt. Immer wieder hören sie dann hinterher, ja, genau so fühlt sich unsere Arbeit an. Und so ähnlich ist es auch Anfang Dezember in Eskilstuna. Die Aufführung dort findet auf Einladung der Stahlfabrik vor Ort statt. Die rund drei Dutzend Stahlarbeiter im Publikum sind nach drei kurzweiligen Stunden von dem Stück begeistert. Einer spricht für sich und seine Clique: "So was habe ich noch nie gesehen. Das hier hat mich angeregt, über mich und meine Arbeit, eigentlich über Arbeit generell nachzudenken."

Und dabei strahlt er schon so wie die vier Hammer-, Sichel- und Ährenträger auf dem sozialistisch-realistischen Plakat zum Stück, die ihre eigene Internationale zu singen scheinen: In Stadt und Land, ihr Künstler und Arbeitsleut', wir sind die stärkste der Partei'n. Die Müßiggänger schiebt beiseite! Diese Welt muss unser sein.