Das Unternehmen Schlecker bevorzugt stille Mitarbeiterinnen. Zu dieser Sorte Mensch gehört Barbara Cybard nicht. Sie ist eine der ersten Betriebsrätinnen bei der Drogeriekette - und hat inzwischen gelernt, wie man sich wehrt

Von Claudia von Zglinicki

Barbara Cybard wurde 1959 in Wernigerode geboren und ist in einem Dorf bei Stuttgart aufgewachsen. Sie arbeitet seit elf Jahren bei Schlecker. Von ihrem Mann lebt sie seit vier Jahren getrennt. Ihr Sohn ist 24, die Tochter 20 Jahre alt.

"Verdienstkreuze sind das Eine. Existenzsichernde Verdienste das Andere", sagte die Verkäuferin und Betriebsratsvorsitzende in ihrer kurzen Rede, als sie im Dezember 2007 das Bundesverdienstkreuz erhielt.

Sie betrat den Laden meist eine Stunde vor Arbeitsbeginn, zog sich um und holte den Scheuerlappen aus der Tasche. "Putzlumpen", sagt sie. Den hatte sie zu Hause gewaschen. Sie wischte die Drogerie, ehe die Kunden kamen. "Ich bin auch früh um vier hin und hab' das Büro gestrichen, weil es so alt und dreckig war. Ich hab' einen eigenen Spiegel aufgehängt." Das kam Barbara Cybard normal vor, als sie beim Drogeriediscounter Schlecker anfing. "Wir wollten es schön haben. Ich hab' nicht darüber nachgedacht, aber inzwischen fällt mir auf, wie viele Stunden man so zusätzlich geschafft hat." Das ist elf Jahre her. Es wurde Zeit, dass sich die Dinge ändern.

Der Orden

Es mag ja sein, dass jedes Jahr viele Bürger das Bundesverdienstkreuz erhalten, auch Gewerkschafter. Trotzdem steht Barbara Cybard vor ihrer Abreise nach Berlin lange vor dem Kleiderschrank. Die Verkäuferin aus Kehl in Baden-Württemberg soll für ihre Arbeit als Betriebsrätin den Orden bekommen. Das macht sie nervös. Der blaue Hosenanzug bleibt doch im Schrank. Was anderes muss her, etwas Vertrautes. Und Tochter Natalie muss zustimmen. Am nächsten Tag begleiten Natalie und ihr Bruder Marco die Mutter nach Berlin. "Da lass ich dich doch nicht allein gehen", hat Marco gesagt. Dabei ist Barbara Cybard weder schüchtern noch ängstlich. Darf man auch nicht sein, wenn man bei Schlecker Betriebsrätin sein will.

Kranken- oder Säuglingsschwester wäre Barbara Cybard gern geworden. "Das liegt nahe, wenn man kleine Geschwister hat", sagt sie. "Aber ich hab halt im Ort was gesucht, da war keine Auswahl." Sie jobbte in der Eisdiele, machte ein Praktikum im Schreibwarenladen, verkaufte Poesiealben und Stifte. Sie war flink, also bot ihr der Chef einen Ausbildungsplatz an. Heute würde sie den nicht mehr nehmen, sondern weitersuchen, denn "mehr zu verdienen wäre schon schön".

Mobile Zeiten

Es folgten Jahre, in denen sie oft umzog, weil ihr Mann bei den französischen Streitkräften diente. Sie probierte verschiedenes: "Ich hab' in einer Elektronikfabrik geschafft, im Akkord genäht, in einer Bäckerei gearbeitet, Lebensmittel verkauft." Überall kam sie gut zurecht, nur den Job in der Metzgerei gab sie nach zwei Tagen auf. Ihre Idee, medizinische Bademeisterin zu werden, verwarf sie wieder. "Mein Mann und ich mussten uns einigen, wer sich weiter qualifiziert, er oder ich", sagt sie. Er machte seine Fortbildung. Einen Altenpflegekurs absolvierte Barbara Cybard später doch - wieder ein Versuch, in den Gesundheitsbereich zu wechseln. Aber da kam Schlecker dazwischen, der in ihrer Nachbarschaft in Kehl eine Verkäuferin suchte. "Eigentlich Zufall, dass ich im Handel geblieben bin." Aber Verkaufen macht ihr Spaß, sie berät die Leute in den engen Gängen des Drogeriemarktes gern.

Beim Schlecker

Nach zwei oder drei Monaten fragte man sie, ob sie die Filiale leiten wolle, ganztags. "Das geht schon", entschied die Familie. In der Mittagspause ging sie nach Hause, kochte und sah nach den Hausaufgaben der Kinder.

Eines Tages stand im Laden eine ihrer Kolleginnen, über 50, mit gesundheitlichen Problemen. Die Frau weinte. "Ich hab' gerade den Aufhebungsvertrag unterschrieben." Man hatte ihr eine Kassendifferenz vorgeworfen und sie unter Druck gesetzt. Barbara Cybard wusste, dass es keine Kassendifferenz gegeben hatte. Ihr erster Gedanke: Da muss man was machen!

Damit war die Betriebsrätin geboren - natürlich noch nicht im juristischen Sinne. Eine Kollegin warnte Barbara Cybard damals vor dem Versuch, einen Betriebsrat zu gründen: Du fliegst raus! Trotzdem trafen sich drei Verkäuferinnen privat und in der Freizeit - im Keller, heimlich. "Sie hatte Angst", erzählt Barbara Cybard, von der heute eine Vorgesetzte sagt: Es war ein Fehler, dich einzustellen. "Aber ich hab' mir keine Gedanken darüber gemacht, dafür war ich viel zu wütend!"

Die Frauen kamen öfter zusammen. Schnell wurde klar, dass es nicht nur um die eine Verkäuferin ging, der sie helfen konnten, sondern um viele. Sie riefen bei der ver.di-Vorgängerorganisation an und bildeten - von der Gewerkschaft beraten - einen Wahlvorstand. Wählten schließlich vor acht Jahren den ersten Betriebsrat. Viele Kolleginnen zweifelten: "Warum? Das brauchen wir nicht. Wir waren doch immer zufrieden." Zufrieden? Barbara Cybard wusste es besser. Sie war jetzt Vorsitzende des Gremiums, ein paar Stunden pro Woche freigestellt, zuständig für 32 Filialen. Die Firma stellte kein Büro, nichts. Barbara kaufte von eigenem Geld ein Buch zum Betriebsverfassungsgesetz, das hundert Mark kostete und dringend gebraucht wurde. Das Unternehmen bezahlte die Summe am Ende doch - nach einem vollen Jahr, kurz vor dem Gerichtstermin, den Barbara Cybard erwirkt hatte. Der neue Betriebsrat lernte. "Wir fanden heraus, dass den Mitarbeitern Sozialzulagen und Urlaubsgeld zustehen. Dann haben wir überprüft, wer etwas bekommt, und es durchgesetzt."

2002 wurde Barbara Cybard in den Gesamtbetriebsrat von Schlecker gewählt. Wenn man sie fragt, was sich in den vergangenen Jahren verändert hat, zögert sie nicht: "Wir - und die Mitarbeiter. Wir sind alle nicht mehr so ängstlich. Die Kolleginnen stehen hinter uns, nur vor der Geschäftsleitung geben viele das noch nicht zu." 2006 konnten die Mitarbeiterinnen gemeinsam eine Welle von Kündigungen abwehren. Auf der Betriebsversammlung bat Barbara Cybard die Kolleginnen damals: "Ihr müsst in der nächsten Zeit alle Überstunden ablehnen. Ist schwer, ich weiß, weil Ihr das Geld braucht. Aber nur so können wir 14 Kündigungen verhindern."

Das Thema Kündigungen beschäftigt Barbara Cybard oft. 130 Kolleginnen sind sie noch. Die Zahl wird sinken, fürchtet sie. Die Methode Schlecker - eine Filiale wird geschlossen, drei Verkäuferinnen werden entlassen, die nächste Filiale wird eröffnet - kennt die Betriebsrätin nur zu gut. Im Dezember war es wieder soweit: Nach der Schließung einer Filiale wurden drei Kolleginnen ins 85 Kilometer entfernte Freiburg versetzt. Zweieinhalb Stunden Fahrtzeit zur Arbeit. Ob das noch menschenwürdig ist, fragt sich Barbara. Eine der drei Frauen ist schon 64 Jahre alt. Die Betriebsrätin wird die Entscheidung nicht hinnehmen. Sie weiß inzwischen, wie man sich wehrt.