Ausgabe 06/2008-07
Ein Bademeister ist kein Bademeister
Von Hans Wille |Wo Eltern verzweifeln und Lehrer vor die Wand laufen - auf die Ansagen des Bademeisters hat noch jeder gehört. Vielleicht deshalb sind Umsicht und Autorität die wahren Kompetenzen der Wächter am Beckenrand
Von Hans Wille
Jens Lehmann hat was von einem Bademeister. Der Nationaltorhüter zeigt selten spektakuläre Rettungssprünge, weil er Bälle, die gefährlich werden könnten, frühzeitig erkennt und schon weit vor seinem Strafraum abfängt.
Ähnlich vorausschauend arbeitet ein Bademeister. "Der Unfall, der passiert, wurde fünf Minuten vorher nicht gesehen", sagt Horst Schultz aus dem Bad am Kaiser-Friedrich-Ufer, dem Kaifu-Bad in Hamburg-Eimsbüttel. Bei ihm läuten instinktiv die Alarmglocken, wenn sich ein kleines Kind ohne Schwimmflügel dem Wasser nähert oder große Gruppen von Jugendlichen auf dem Sprungturm knubbeln. Weil er die typischen Gefahrenpotenziale frühzeitig entschärft, gibt es eigentlich nie schlimme Unfälle oder gar die actionreiche Baywatch-Nummer. "Ich rede jetzt nicht von Insektenstichen und Schürfwunden am Knie. Die sind Alltag eines FAB."
Eines was? Bademeister heißen offiziell nur die medizinischen Mitarbeiter in Kurbetrieben. Horst Schulz ist ein Fachangestellter für Bäderbetriebe, kurz FAB genannt. "Aber schreiben Sie ruhig Bademeister. Das sagen sowieso alle."
Immer nur drei auf den Turm
"Kannst du den Zehner aufmachen, Horst?" Die jugendlichen Stammgäste duzen ihn. "Ihr kennt ja unsere Hausregel: oberhalb der ersten Stufe nur drei Leute!" Es ist ein sonniger Nachmittag im Juni, das Bad rappelvoll. Die Schlange der Turmspringer füllt sich schnell. Ein etwa 13-Jähriger ignoriert die Regel: "Warte bitte, bis nur noch zwei vor dir sind. Erst dann kannst du rauf klettern", ruft Horst aus der Ferne. Ohne Erfolg. "WARTE UNTEN!!", nun deutlich und laut. Als der Angesprochene immer noch so tut, als wäre nicht er gemeint, zitiert Horst Schultz ihn RICHTIG LAUT zu sich. Wie jetzt, Ich?, sagt der scheinheilige Blick. Aber der Bengel klettert die Leiter wieder runter und trottet heran. Unter vier Augen erklärt Horst in Ruhe, warum immer nur drei Leute auf den Turm dürfen, schickt ihn dann mit einer kumpelhaften Kopfdrehung zum Sprungturm und ruft hinterher: "Drängel dich ruhig vor. Hast ja schon gewartet." Der Junge dreht sich um, schaut verdattert - und lächelt erleichtert. "Mir ist wichtig, dass die Jungs mit einem Lachen weitergehen können." Der Bademeister mit Trillerpfeife ist passee.
Gefährlich sei etwa die Situation, wenn jemand auf dem Zehner steht und sich nicht traut zu springen, während unten eine Traube von Zuschauern rhythmisch klatscht. Denn wer unkonzentriert springt, oder gar geschubst wird, kann einen bösen Unfall erleiden. "Drei Leute auf dem Turm kann ich im Blick haben."
Und wenn doch etwas passiert, dann würde der 49-Jährige trotz seiner korpulenten Figur binnen Sekunden die Turnschuhe abstreifen, Alarm schlagen und ins Wasser hechten. Alle drei Monate muss ein FAB die Tauchprüfung ablegen und jedes Jahr aufs Neue beweisen, dass er die Herz-Lungen-Wiederbelebung beherrscht. Das hat er zwar alles in der dreijährigen Ausbildung zum FAB gelernt, aber die liegt bei dem ehemaligen Taxifahrer Horst Schultz schon sechs Jahre zurück.
Das wird ein Bauchklatscher! Bademeister Schultz hat alles im Blick
Das ist meine Bahn
Auf dem Lehrplan stehen Rettungsschwimmen, Erste Hilfe und die Ausbildung zum Schwimmlehrer. In der Praxis muss der Bademeister auch soziale Konflikte lösen. "Wenn ein Frühschwimmer den anderen mit den Worten vertreiben will: ,Das ist seit 16 Jahren meine Bahn ́, dann muss ich eine Lösung finden, bei der möglichst keiner sein Gesicht verliert", sagt Horst Schultz. "Unter uns: Dieses Becken wurde erst vor acht Jahren gebaut...."
Damit die Chemie im Schwimmbad stimmt, lernt ein FAB auch die Wasserqualität zu händeln - etwa mit Blick in den Himmel: Wenn sich eine dichte Wolkendecke vor die Sonne schiebt, geht Horst Schultz schnurstracks zum Technikhaus und regelt die Chlorventile für alle vier Schwimmbecken runter. "Je stärker die Sonne scheint, desto mehr Chlor zehrt sie." Er kann und muss schnell reagieren, weil ein Kreislaufsystem dafür sorgt, dass jeder Wassertropfen vier bis fünf Mal pro Tag durch eines der riesigen Filterbecken rieselt. Mit geübtem Blick auf den Computerbildschirm, der in einem spaghetti-ähnlichen Gewirr alle Pumpen, Rohre und Becken darstellt, sieht der FAB, dass alles im ruhigen Fluss ist. Trotzdem: Kontrolle ist besser. Alle zwei Stunden zieht er aus den Becken eine Wasserprobe und analysiert sie mit einem Teststreifen.
Harte Prüfung der Seepferdchen
"Unser Motto lautet: Sicherheit, Sauberkeit, Service. In dieser Reihenfolge." Service bedeutet auch der Kassendienst. Mit gespielt trauriger Miene begrüßt Horst Schultz eine Vierjährige mit Blumenhut: "Das Bad ist heute leider geschlossen." Er beobachtet wie sie guckt, sagt: "Weil das Wasser über Nacht klitschnass geworden ist," und winkt die Kleine lachend durch. Später grüßt ihn ein Jugendlicher, dem er einst das Schwimmen beigebracht hat. "Das traurigste an meinem Beruf ist, wenn einer der Lütten die Seepferdchen-Prüfung nicht besteht."
Der ver.dianer Horst Schultz ist Schichtleiter, teilt die acht bis zehn Kollegen ein, die den Betrieb im Hallen- und Freibad aufrechterhalten. Insgesamt arbeiten jetzt, im Sommer, 23 Kollegen im Kaifu-Bad, manche davon sind angelernt, arbeiten mit Zeitvertrag und zu deutlich schlechteren Bezügen als die langjährig Angestellten. Bei schlechtem Wetter, wenn die Gäste ausbleiben, muss jeder auch Beete pflegen oder Grafittis abschrubben.
Später, bei der Wasseraufsicht, entdeckt Horst Schultz das kleine Fräulein mit Blumenhut, wie es verträumt auf einer anderthalb Meter hohen Mauer klettert. Um das Kind nicht zu erschrecken, sucht er Augenkontakt und bittet es fröhlich, doch bitte nicht runter zu fallen. Oder am besten: gar nicht erst zu klettern. So vermeidet der Kindernarr mit Charme und Weitsicht einen möglichen Unfall. Wie Jens Lehmann manches Gegentor.