Der Arbeitsminister will angeblich einen Rechtsanspruch auf einen nachholenden Hauptschulabschluss durchsetzen. Doch zugleich hat er die Anweisung gegeben, entsprechende Kurse erst einmal abzubauen

Die vor einigen Wochen verbreitete Ankündigung klang gut: Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) will wirkungslose Arbeitsmarktinstrumente aussortieren und das Geld auf solche Maßnahmen konzentrieren, die langfristig gute Eingliederungschancen versprechen. Priorität habe dabei ein Rechtsanspruch auf einen nachholenden Hauptschulabschluss, hieß es.

Weil Menschen ohne Schulabschluss ein wesentlich höheres Risiko haben, langzeitarbeitslos zu werden, erscheinen Investitionen hier überaus sinnvoll. Allein in der Gruppe der unter-25- Jährigen gibt es etwa 800000 Menschen ohne jede Qualifikation, hat die Bundesagentur für Arbeit ausgerechnet. Der Rechtsanspruch, einen entsprechenden Vorbereitungskurs zu besuchen, sollte aber auch für ältere gelten, ließ das Ministerium zunächst verbreiten.

"Noch ist unklar, ob es wirklich einen Rechtsanspruch geben wird", ruderte Ministeriumssprecherin Barbara Braun allerdings schon wenig später zurück. Auch der Finanzbedarf sei noch nicht durchkalkuliert. Das erstaunt nicht: Scholz müsste viele Milliarden Euro locker machen, sollten alle Berechtigten ein solches Recht geltend machen.

Jahrelange Erfahrung wird einfach weggeworfen

Tatsächlich geschieht in Frankfurt am Main und mehreren anderen Städten zurzeit genau das Gegenteil von dem, was Scholz vorgibt zu wollen: Kurse zur Vorbereitung auf den Hauptschulabschluss werden abgeschafft. Bisher hat zum Beispiel das Rhein-Main-Jobcenter jährlich 70 bis 90 Plätze bei der Lehrerkooperative gefördert. Seit Jahren bereitet der anerkannte Bildungsträger immer von September bis zum Frühsommer junge Erwachsene und gelegentlich auch ältere Arbeitslose auf die Prüfung vor. Neben den Lehrern stehen den Teilnehmern auch Sozialarbeiter zur Seite - schließlich hat es ja Gründe, warum sie einmal die Schule abgebrochen haben. Der Erfolg des Projekts lässt sich sehen: Knapp 90 Prozent der Teilnehmer halten am Schluss das begehrte Zeugnis in der Hand.

Hauptschüler als Opfer eines Grundsatzkonflikts

Doch der jetzige Kurs soll der letzte gewesen sein. "Es ist rechtlich nicht in Ordnung, Hauptschulkurse über das Sozialgesetzbuch III zu finanzieren," begründet Barbara Braun vom Arbeitsministerium, warum die Bundesagentur für Arbeit im April einen entsprechenden Erlass rausschickte. Vielmehr müsse das Sozialgesetzbuch II zur Anwendung kommen.

Was aus Sicht von Laien wie eine juristische Haarspalterei wirkt, ist tatsächlich ein Grundsatzkonflikt darüber, wer künftig über einen Großteil der arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahmen bestimmen darf: die regional verankerten Argen, die die bisherigen Maßnahmen in Auftrag gaben, oder die Zentrale der Bundesagentur für Arbeit.

Die Anbieter der gegenwärtig noch laufenden Hauptschulkurse nehmen für sich in Anspruch, Experten bei der praktischen Durchführung zu sein. Sie plädieren für zielgruppenspezifische Angebote: Hochmotivierte Leute, die nach ein paar Jahren als Hilfsarbeiter oder Arbeitslose genau wissen, warum sie den Hauptschulabschluss nachholen wollen, bräuchten ein völlig anderes Angebot als Jugendliche, die gerade eine gescheiterte Schulkarriere hinter sich haben. Doch der Referentenentwurf aus dem Hause Scholz sieht vor, dass der Erwerb eines nachholenden Hauptschulabschlusses künftig nur im Rahmen einer Berufsvorbereitungsmaßnahme gefördert werden kann. Das aber sind in der Regel die berühmten Warteschleifen für Jugendliche, die keine Lehrstelle gefunden haben. Wer es mit einem allgemeinen Rechtsanspruch auf einen nachholenden Hauptschulabschluss ernst meint, muss anders an dieses wichtige Thema herangehen. Annette Jensen