Ausgabe 06/2008-07
Erst die Arbeit, dann der Protest
Von Romin Khan |Erst die Arbeit, dann der Protest
Ihr Alltag: Putzen, waschen, kochen. Ihre Freizeit: Flugblätter verteilen, Versammlungen abhalten, protestieren. Hester Stevens ist die Präsidentin der südafrikanischen Gewerkschaft der Hausangestellten. Über eine ungewöhnliche, rührige Frau
"Eine ältere Arbeiterin steht nach ihrer Entlassung am Ende ihres Lebens vor dem Nichts."
Die Seitenstraße im Stadtteil Kenilworth in Kapstadt ist nahezu leergefegt. Im Hintergrund der Tafelberg, die Sonne geht gerade unter. Nur einige schwarze Frauen in Kitteln sind unterwegs, wohl auf dem Weg nach Haus. In einem der großen, von hohen Mauern und elektrisch geladenem Stacheldraht gesicherten Häusern soll der Adresse nach die Präsidentin der südafrikanischen Gewerkschaft der Hausangestellten leben. Hier, in einem der reichsten Viertel Kapstadts?
Die Verwunderung klärt sich schnell auf. Hester Stevens öffnet das automatische Einfahrtstor und bittet auf das Gelände. Sie weist auf das Anwesen, gesäumt von einem Swimming-Pool und einer Terrasse: "Dies ist das Haus der Familie Erwin (Name geändert). Mein Arbeitsplatz." Dann zeigt sie auf einen kleinen Flachbau mit etwa 20 Quadratmetern Wohnfläche: "Und hier gegenüber wohne ich."
Hester Stevens ist jetzt 61 Jahre und für ihr Alter körperlich erstaunlich fit - es ist ein anstrengender Beruf, dem sie nachgeht. Bei der Familie Erwin ist sie seit 1991 beschäftigt. Sie reinigt beide Etagen, die Terrasse und Außenflächen, macht die Wäsche und bereitet die Mahlzeiten zu. Und kümmert sich um den Sohn des Hauses, den mittlerweile 17-jährigen Adrian.
Sie setzt sich auf ihr Bett, das zugleich als Couch dient. Ohne Umschweife kommt sie auf die Probleme ihres Berufs zu sprechen. In Hester Stevens Leben ist nicht viel Zeit für Privates. Entweder muss sie Geld verdienen oder sie streitet für die Rechte ihres Berufsstandes. "Es fängt schon bei der Berufsbezeichnung an. Noch immer werden wir als Hausmädchen, als Maids bezeichnet." In dieser Wortwahl spiegele sich die abwertende Art im Umgang mit den "domestics", den Hausangestellten, wider. "Wir werden nicht als Arbeiterinnen, sondern als Untertanen angesehen, denen man ihre vollen Rechte vorenthalten kann."
Der Traum vom besseren Leben in der Stadt
Hester Stevens teilt ihre Biographie mit vielen anderen schwarzen Frauen, die während der Apartheid in Südafrika aufgewachsen sind. In der staatlich verordneten Trennung der Menschen verschiedener Hautfarben standen schwarze Frauen am unteren Ende der Gesellschaftsordnung. Eine höhere Schul- oder Berufsausbildung war undenkbar. Hester Stevens verließ mit 14 Jahren die Schule, mit 16 wurde sie erstmals Hausangestellte. "Ich wollte ein besseres Leben." Das suchte sie in Kapstadt, 600 Kilometer von ihrem Zuhause entfernt. Mit Anfang 20 arbeitete sie dort weiter als Hausangestellte. Und mit 40 war sie bei der Gewerkschaft. "Ich hatte damals Probleme mit meinen Arbeitgebern und war ständig in Konflikt mit dem weißen Regime." Konflikte, weil sie sich als schwarze Frau nicht in weißen Gegenden aufhalten durfte - aber genau dort arbeitete. "Was ich hier zu suchen hätte, wurde ich auf der Straße gefragt." Probleme, weil ihre Arbeitgeber auf tägliche Pflichterfüllung pochten: "Als meine Schwester starb, gaben sie mir keinen Urlaub, um zur Beerdigung zu fahren."
Noch heute sind bis zu 20 Prozent der Erwerbstätigen, überwiegend Frauen, in Südafrikas Privathaushalten angestellt. "In die neue demokratische Verfassung wurden zwar viele wichtige Arbeitsrechte aufgenommen, doch die Hausangestellten kennen diese Rechte nicht", sagt Hester Stevens. Willkür und Ausbeutung sind die Regel. Der Lohn liegt häufig unter einem Euro pro Stunde, das Preisniveau Südafrikas jedoch nur gering unter dem Deutschlands. Viele arbeiten ohne Wochenend- und Feiertagszuschläge; Überstunden werden nicht vergütet. Sie haben keine Arbeitsverträge, und die Arbeitgeber weigern sich, Sozialabgaben zu zahlen. "Wenn eine ältere Arbeiterin nicht mehr kann, wird sie entlassen und steht am Ende ihres Lebens vor dem Nichts", sagt Hester Stevens und erzählt, dass das einst auch ihre Perspektive war.
Inzwischen hat sich Hester Stevens neben ihrer privaten Vorsorge eine kleine Rente erstritten - und ein wenig Freizeit. "Wenn man auf dem Grundstück seiner Arbeitgeber wohnt, denken sie, man sei permanent verfügbar. Ich musste meine Chefin regelrecht erziehen, damit sie akzeptiert, dass ich auch ein Recht auf Zeit für mich habe." Heute hängt Hester Stevens ihre Termine zwei Wochen im Voraus an den Kühlschrank der Erwins. "Oft genug musste ich drohen: Ich kündige." Nun hat sie sogar eine Vertreterin.
Der eigene Sohn sagt zu ihr Tante Hester
Die Termine, die Hester Stevens an den Kühlschrank hängt, sind zumeist Gewerkschaftstreffen. Und auch in ihrer Mittagspause geht sie in das Gewerkschaftsbüro oder läuft durch die Straßen und verteilt Flugblätter an Hausangestellte. "Allein in meiner Straße arbeiten fast 100 Frauen", sagt Hester Stevens. Seit ihrer Gründung vor acht Jahren hat ihre neue Gewerkschaft 25000 Mitglieder, überwiegend Frauen, organisiert.
Wenn Hester Stevens auf Adrian, den Sohn ihrer Arbeitgeber, zu sprechen kommt, ist zu ahnen, wie verstrickt sie mit dem Leben der Familie jenseits aller arbeitsrechtlichen Aspekte ist. Sie kam ins Haus, als Adrian gerade geboren war: "Ich habe ihn aufgezogen. Seine Eltern waren beruflich viel unterwegs." Eines Tages hatte Adrian hohes Fieber, Hester Stevens brachte ihn in die Krankenstation. "Ich fürchtete um sein Leben, er war wie mein eigenes Kind." Doch schon früh erklärten ihm seine Eltern, dass Hester Stevens nicht zur Familie gehört. Dennoch nennt der heute 17-Jährige sie ‚Auntie Hester', Tante Hester.
Dabei hat Hester Stevens einen eigenen Sohn. "Er ist bei meiner Mutter aufgewachsen." Sie wird wortkarg. Nur so viel: Wie soll man Kontakt halten, wenn man keinen Urlaub bekommt? "Irgendwann war ich bei meiner Mutter, und mein Sohn nannte mich auch ‚Tante Hester'." Dann erzählt sie noch, warum sie ohne feste Beziehung blieb: Weil die Arbeitgeber keinen Partner auf ihrem Grundstück akzeptieren.
Jetzt plant sie ihre Rente. "Vielleicht nehme ich mir eine kleine Wohnung in der Gegend. Wenn ich es mir leisten kann." Von hier ist es nicht weit bis zum Gewerkschaftsbüro.
Hester Stevens
Die Präsidentin der südafrikanischen Hausangestelltengewerkschaft, der South African Domestic Service and Allied Workers Union (SADSAWU), ist 1946 geboren. Sie wuchs in Union-dale, im ländlich geprägten östlichen Teil der Kapregion auf. Ihr Vater war Farmarbeiter und die Mutter als Hausangestellte beschäftigt.
Das Nord-Süd-Netz des DGB- Bildungswerk unterstützt die Arbeit von SADSAWU.
Spendenkonto: Nord-Süd-Netz Projekte, SEB Bank AG Düsseldorf, BLZ 30010111, Konto Nr. 1016009300