Nicht zu entmutigen: Barbara E. vor dem Arbeitsgericht in Berlin

von CLAUDIA VON ZGLINICKI

Wie es weitergeht, weiß Barbara E., genannt Emmely, im Moment nicht. Ihr Rechtsanwalt wird Berufung einlegen, nur das ist sicher. Sie ist vor Gericht gegangen gegen die Kündigung und wird jetzt nicht einknicken, wenn ihr auch manchmal bange wird. Sie gesteht nichts, was sie nicht getan hat.

Die "Rädelsführerin"

Die 50-jährige, in Neubrandenburg ausgebildete Verkäuferin hat 31 Jahre in diesem Supermarkt in Berlin-Friedrichshain gearbeitet. Als sie anfing, nannte man solche Läden noch Kaufhalle. Diese gehörte der DDR-Handelsorganisation HO. Jetzt gehört der Markt Kaisers-Tengelmann. Barbara E. war immer da, hat nie unentschuldigt gefehlt. Erfahren, zuverlässig, einsatzbereit. Was will ein Arbeitgeber mehr? Doch Emmely ist eine aktive ver.di-Frau; in den drei Streikwellen des vergangenen Jahres hat sie viel getan: in einer von ver.di angeregten Kreativgruppe die Streiks mit vorbereitet und selbst gestreikt. Obwohl das Folgen hatte, nicht beweisbar, aber offensichtlich: Sie, die sonst immer in Wechselschicht gearbeitet hatte, wurde nur noch im Spätdienst eingesetzt. Sie erinnert sich, dass ein Kollege sie damals warnen wollte, man würde sie als "Rädelsführerin" betrachten. Als der Marktleiter alle zu einer Bowling-Party bat, wurde sie wie die anderen sieben Streikbereiten nicht eingeladen. An der dritten Streikwelle im Dezember beteiligte sie sich trotzdem, als Einzige aus ihrem Markt. Die anderen waren in Gesprächen unter Druck gesetzt worden und streikten nur noch heimlich, an ihrem freien Tag oder im Urlaub, unmerklich für die Chefs. Aber das ist nicht Emmelys Stil. Die - wiederum nicht beweisbare - Folge war, dass sie an den Feiertagen zum Jahresende arbeiten musste, wenn der Markt geöffnet war. Sie war es auch, die mehrmals aufgefordert wurde, geplanten Urlaub wieder zu verschieben.

31 Jahre oder 1,30 Euro

Am 22. Januar kaufte Emmely im Markt ein und löste dabei Bons für Flaschenpfand ein. Die Erste Kassiererin sah ihr über die Schulter. Drei Tage später holte die Distriktmanagerin Emmely ins Büro, kontrollierte ihren Spind und ihre Tasche, was nicht üblich ist. Emmely hatte nichts zu verbergen und dachte, in dem folgenden Gespräch würde es um eine Qualifizierung gehen. Stattdessen zeigte man ihr zwei Pfandbons und behauptete, die würde man ihrem Einkauf vom 12. Januar "zuordnen".

Kommen Pfandbons von einer Beschäftigten des Hauses, müssen sie zweimal unterschrieben werden, beim Abgeben der leeren Flaschen und beim Einlösen an der Kasse. Auf diesen Bons fehlte eine Unterschrift. Ein Kunde, erklärte die Leitung später, habe die Bons liegengelassen, Emmely habe sie genommen und das Geld unterschlagen. 1,30 Euro.

Schon beim ersten Gespräch erklärte die Managerin, das Unternehmen sehe zwei Möglichkeiten: Die Verkäuferin kündige von sich aus. Oder man werde ihr kündigen. Emmely war fassungslos.

Es folgte das Gespräch in der Personalabteilung. Der Betriebsrat stand Emmely zur Seite. Trotzdem, die Entscheidung hieß: fristlose Verdachtskündigung. Etwas, wovon Emmely noch nie gehört hatte. Sie kannte nur die Regel aus dem Strafrecht: im Zweifel für den Angeklagten. Beweisen muss man die Schuld - im Strafrecht, wie ihr Anwalt Benedikt Hopmann ihr später erklärte. Sie sollte nun beweisen, dass sie nicht mit Bons betrogen hatte. Was nicht ging.

Emmely klagte gegen die Kündigung. Kolleg/innen aus verschiedenen Branchen und Gewerkschaften standen ihr zur Seite. Sorgten für Öffentlichkeit, kamen Ende August mit Transparenten zur Verhandlung ins Arbeitsgericht. Was den Richter offenbar besonders aufbrachte.

Nach langem Hin und Her mit den Zeugen wurde die Klage gegen die Verdachtskündigung abgewiesen. Am Ende erklärte der Richter noch, wenn Frau E. in einem Schriftsatz ihres Anwalts Reue gezeigt und versprochen hätte, es nie wieder zu tun, wäre die Entscheidung anders ausgefallen. "Ein Skandal", sagt ihr Anwalt dazu. Im Strafrecht wäre der Prozess eingestellt worden, wegen Geringfügigkeit. In seiner Stellungnahme schreibt er: "1,30 Euro sind nach Meinung des Arbeitsgerichts mehr wert als 31 Beschäftigungsjahre - deutlicher kann ein Gericht die Verachtung für die Tätigkeit von abhängig Beschäftigten nicht ausdrücken."

"Ich kann nicht bereuen, was ich nicht getan habe", sagt Emmely. Sie ist seit dem 22. Februar arbeitslos, lebt von Arbeitslosengeld I und "aufstockendem" Arbeitslosengeld II. Aus ihrer Wohnung mit dem großartigen Blick aus dem elften Stock muss sie ausziehen. Sie muss sich eine neue suchen, die maximal 360 Euro kosten darf, warm, ohne Kaution.

In einem halben Jahr ist mit der Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht zu rechnen. Emmelys Töchter stehen hinter ihr, genauso wie die Leute aus der Unterstützergruppe. Auf der ver.di-Website werden Unterschriften für Emmely gesammelt.http://handel.bb.verdi.de