Die Arbeitsmarktzahlen lassen viel Spielraum zur Interpretation. Der ist zum Teil politisch motiviert

Jugendliche in Mannheim

2988444 Arbeitslose meldete die Bundesagentur für Arbeit (BA) für November offiziell. Das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) weist darauf hin, dass es 5,491 Millionen Empfänger/innen von Arbeitslosengeld sind. Das ist auch eine Zahl der BA, sie steht aber nur in der Langfassung des Monatsberichts.

Woher kommt die Differenz von 2,5 Millionen? "Die Bundesagentur muss nach bestimmten Gesichtspunkten publizieren, die von der Bundesregierung oder per Gesetz vorgegeben sind", sagt Bernhard Jirku, beim ver.di-Bundesvorstand für Erwerbslose zuständig. So steht im Sozialgesetzbuch (SGB) III: "Teilnehmer an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik gelten als nicht arbeitslos." Gemeint sind unter anderen Ein-Euro-Jobber/innen oder Teilnehmer/innen an Bewerbungstrainings.

Heraus fallen auch viele Ältere. Die so genannte 58-er Regelung ist zwar Ende vergangenen Jahres ausgelaufen. Aufgenommen in die offizielle Statistik wird aber nur, wer seit dem 1. Januar 2008 seinen 58. Geburtstag gefeiert hat und erwerbslos ist. Ist ihm dann ein Jahr lang keine Arbeit angeboten worden, fällt er wieder heraus.

Auch Jüngere können aus der Statistik fallen. Als arbeitslos gilt nur, wer drei Kriterien erfüllt: Er muss beschäftigungslos sein beziehungsweise weniger als 15 Stunden pro Woche arbeiten. Gleichzeitig muss er Eigenbemühungen um einen Job nachweisen und für die Arbeitsvermittlung verfügbar sein. "Der Gestaltungsspielraum bei der ,Produktion von Daten zur Arbeitslosigkeit' ist sehr groß. Das gilt insbesondere für die Arbeitslosigkeit im Rechtskreis von SGB II, also Hartz IV", sagt Paul Schröder vom BIAJ. "Eigenbemühungen" und "Verfügbarkeit" bieten seiner Meinung nach große Interpretationsmöglichkeiten.

In vielen Fällen gebe es gute Gründe, sagt Schröder, Arbeitslosengeld-Empfänger/innen nicht als Arbeits- lose zu zählen. Als Beispiel nennt er einen 15-Jährigen, der mit seinen erwerbslosen Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft wohnt, daher Arbeitslosengeld II bezieht und als Schüler keine Arbeit sucht. Das erfasst die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zwar, veröffentlicht es aber höchstens im Kleingedruckten der monatlichen Arbeitslosenstatistik.

Paul Schröder weist darauf hin, dass einzelne Argen und Optionskommunen ihre Arbeitslosen scheinbar unterschiedlich bewerten. Er hat sich unter anderem angesehen, wie erwerbsfähige Hilfebedürftige zwischen 15 und 25 Jahren erfasst werden, die erwerbslos sind und Anspruch auf Arbeitslosengeld II hätten. Schröder hat festgestellt, dass in Mannheim nur 2,7 Prozent dieser Arbeitslosengeld-II-Empfänger/innen als arbeitslos registriert sind. Der bundesweite Durchschnitt liegt bei 18,2 Prozent. "Es ist schlecht, dass nicht dokumentiert wird, wie viele aus welchen Gründen nicht in der Statistik auftauchen", sagt Schröder. Genau wie Jirku setzt er sich für klare Kriterien ein.

"Die Daten der Bundesagentur für Arbeit sind sehr differenziert erhoben, eine bessere Alternative gibt es nicht", sagt Bernhard Jirku. "Allerdings muss Schluss sein mit der Beschönigung durch eine verzerrte Darstellung." Experten könnten dort alle relevanten Daten finden - aber nur die. Jirku fordert daher, genau wie Schröder, mehr Transparenz und klare Kriterien.

Beide finden sich in guter Gesellschaft. "Wahrheit und Klarheit in der Arbeitsmarktstatistik" hat auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion vehement gefordert - allerdings 2004, als die Partei noch in der Opposition war.

Aktuell scheint es dagegen einen weiteren Versuch zu geben, Arbeitslose aus der Statistik verschwinden zu lassen. Bei der Neuordnung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente könnte es passieren, dass Erwerbslose, die von privaten Arbeitsvermittlern betreut werden, als nicht arbeitslos erfasst werden. "Dies kann nicht im Sinne einer ,sauberen' Erfassung der Arbeitslosenzahlen sein", heißt es im Protokoll der Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales. Vorgetragen wurden die Bedenken vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, einer Forschungseinrichtung der BA.

Evelyn Räder, beim ver.di-Bundesvorstand für Arbeitsmarktpolitik zuständig, befürchtet, dass es 2009 zu weiteren Begehrlichkeiten der Politik kommt. Es stehen Bundestagswahlen an - und für eine bessere Akzeptanz der Rente mit 67 machen sich hohe Erwerbs- und niedrigere Arbeitslosenzahlen bei Älteren auch besser.

Die Arbeitsmarktstatistik des BIAJ: www.erwerbslose.verdi.de/arbeitsmarktdaten_1