Die Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland in der Kritik

Wer nach dem Studium an einer Hochschule bleibt, arbeitet meist unter prekären Bedingungen. Rund 100000 wissenschaftliche Hochschulangestellte streben nach höheren akademischen Weihen. Die meisten von ihnen sind sehr motiviert - so wie Emanuel Beerheide, der sich an der TU Dortmund mit Organisationsentwicklung und Netzwerkökonomie befasst und gerade seine Doktorarbeit über Wissens- und Innovationsarbeit schreibt. Die hohe Identifikation mit dem Thema macht ihn zufrieden, und so wertet er auch seine Arbeitsbedingungen als positiv. Doch Tatsache ist: Die Situation der Nachwuchswissenschaftler in Deutschland ist gekennzeichnet von einer fragilen Kette von Arbeitsverträgen, unbezahlter Mehrarbeit und unklaren Berufsperspektiven. Das ist das Ergebnis einer ver.di-Umfrage an drei Hochschulen, in Berlin, Jena und Oldenburg.

Der Weg zum Doktortitel nimmt statistisch gesehen 5,7 Jahre in Anspruch. Aber nur durchschnittlich 28 Monate sind durch eine wissenschaftliche Begleitbeschäftigung abgesichert. Befristungen und die Abhängigkeiten von Fördermitteln und Professoren sorgen für Unsicherheit. Thomas Engel von der Universität Jena sieht sich deshalb als Teil eines akademischen Prekariats: Mit einer Kette von über zehn befristeten Verträgen an seiner Hochschule steuert er seinem Doktortitel entgegen - und dabei sind mehrere Werkverträge noch nicht einmal mitgezählt.

Campus der Zukunft

42 Prozent der Promovierenden haben eine volle, 45 Prozent eine halbe und 12 Prozent eine Zweidrittel-Stelle. Unabhängig von der vertraglichen Vereinbarung arbeiten die Wissenschaftler in der Regel 42 Wochenstunden. Während 60 Prozent dieser Zeit beschäftigen sie sich mit promotionsfremden Arbeitsinhalten. Außerdem klagen viele über mangelnde Wertschätzung und Unterstützung. Darüber hinaus vermissen sie Weiterbildungsangebote und Orientierungshilfen für die Zeit danach.

Einer der Autoren der Studie ist Dieter Grühn vom Arbeitsbereich Absolventenforschung der Freien Universität Berlin. Er zeigt sich erschrocken über die Ergebnisse. Schließlich bestätigen sie Befunde, die bereits vor zehn Jahren auf dem Tisch lagen und an denen sich kaum etwas geändert hat. Grühn plädiert für eine Aufwertung dieser Beschäftigtengruppe. "Diese Arbeitsverhältnisse sind nicht die Fortsetzung des Studiums, sondern das erste berufliche Arbeitsverhältnis der Wissenschaftler."

Kritik richtet der wissenschaftliche Nachwuchs an Personalräte und Gewerkschaft: Sie kümmerten sich mehr um die anderen Beschäftigtengruppen an den Hochschulen und nähmen befristet Beschäftigte nicht hinreichend wahr. Deshalb wollen mehr als die Hälfte kein Mitglied werden oder sich gar engagieren.

ver.di hat ihre Kritik durchaus vernommen und deshalb auch die jetzt veröffentlichte Umfrage initiiert und einen Arbeitsschwerpunkt "Campus der Zukunft" eingerichtet. Handlungskonzepte erhofft sich davon Emanuel Beerheide, der sich im ver.di-Arbeitskreis Hochschulpolitik in Nordrhein-Westfalen für längere Vertragslaufzeiten und mehr Vollzeitstellen stark macht. Teilzeitstellen sollten dagegen abgeschafft werden, weil sie sowieso nicht der realen Arbeitszeit entsprächen, so sein Plädoyer. Hans-Jürgen Sattler, Bereichsleiter im ver.di-Fachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung, fordert einen Risikozuschlag für befristet Beschäftigte an Hochschulen. Außerdem müsse dem wissenschaftlichen Nachwuchs ein höherer Stellenwert im Bildungssystem eingeräumt werden.Gunter Lange