Rund zwei Prozent der Beschäftigten in Deutschland nehmen regelmäßig Psychopharmaka ein, um sich fit für den Job zu machen. Experten fürchten eine Zunahme des Dopings angesichts der Arbeitsmarktkrise

Erschöpft, ausgebrannt, panisch - Doping am Arbeitsplatz hat vielfältige Gründe

Doping ist nicht nur im Sport ein zunehmendes Problem. Auch am Arbeitsplatz wird gedopt. Dank einer von der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) in Auftrag gegebenen Studie liegen jetzt erstmals Zahlen vor. Demnach greifen rund zwei Prozent der Beschäftigten "täglich bis mehrmals im Monat" zu verschreibungspflichtigen Medikamenten, um ihre Konzentration, Leistungsfähigkeit oder Stimmung zu verbessern. Dies sind rund 800000 Beschäftigte. Insgesamt fünf Prozent - das sind zwei Millionen Menschen - haben mindestens einmal mit "leistungssteigernden oder stimmungsaufhellenden Medikamenten" nachgeholfen, heißt es in der Studie. Sie schluckten die Psycho- und Neuro-Arzneimittel nicht, weil sie krank sind, sondern nur, um im Betrieb besser bestehen zu können oder dem Arbeitsstress gewachsen zu sein. Herbert Weisbrod-Frey, bei ver.di für Gesundheitspolitik zuständig, führt den Missbrauch von Medikamenten am Arbeitsplatz auch auf die Angst vorm Jobverlust zurück. "Und die Wirtschaftskrise könnte diesen Trend verstärken", befürchtet er.

Steigerung der Konzentrationsfähigkeit

Das Phänomen "Doping am Arbeitsplatz" - auch als Gehirndoping, Mind-Doping oder Brain-Booster bezeichnet - ist schon lange aus dem Gesundheitswesen bekannt. "Bei den Beschäftigten in Kliniken oder Pflegeheimen ist es ein großes Problem", sagt Herbert Weisbrod-Frey. Das gehe aus Berichten von Personal- und Betriebsräten hervor. Der Gesundheitsexperte führt dies auf die hohe Arbeitsbelastung zurück, die die Schichtarbeit mit sich bringt, und auf die hohe Verantwortung, die auf der einzelnen Krankenschwester oder dem einzelnen Arzt lastet. Hinzu komme, dass die Mitarbeiter vergleichsweise leicht an Psychopharmaka herankommen. "Viele versuchen, sich mit Medikamenten fit für den Alltag zu machen."

Auch unter Wissenschaftlern ist das Gehirn-Doping weit verbreitet. Eine weltweite Umfrage des Wissenschaftsmagazins Nature unter 1400 Forschern ergab, dass bereits jeder fünfte Forscher, ohne dass medizinische Gründe vorlagen, "zu Medikamenten gegriffen hat, um Konzentration, Aufmerksamkeit oder Erinnerungsvermögen anzuregen".

Medikamente gegen Bluthochdruck oder Demenz

Zu den Medikamenten, die zur Steigerung der Arbeitsleistung genommen werden, gehören unter anderem Arzneimittel, die zur Verbesserung des Erinnerungsvermögens bei Demenz oder Alzheimer verschrieben werden. Aber auch Psychopharmaka zur Therapie von ADHS, dem so genannten Zappelphilipp-Syndrom, oder Betablocker, die zur Behandlung von Bluthochdruck oder Herzerkrankungen eingesetzt werden, werden missbräuchlich von den "Dopern" verwendet. Bezogen werden die Mittel entweder "illegal" über Internetfirmen. Viele "Doper" bekommen die Medikamente aber auch von ihrem Arzt verschrieben - ohne dass ein medizinischer Grund dafür besteht.

Dabei ist überhaupt nicht bekannt, welche Risiken mit der Einnahme der Leistungssteigerer verbunden sind. "Wir kennen die Langzeitwirkungen dieser Medikamente auf Gesunde überhaupt nicht", sagte Isabella Heuser, Direktorin der Psychiatrie-Klinik der Berliner Charité, bei der Vorstellung der DAK-Studie.

Eine Aufschlüsselung nach Berufsgruppen haben die Wissenschaftler vom Berliner IGES Institut, die für die DAK die Studie erstellt haben, nicht vorgenommen. Um hier aussagekräftige Ergebnisse zu bekommen, sei die Gruppe der befragten Arbeitnehmer - insgesamt 3000 im Alter von 20 bis 50 Jahren - zu klein gewesen, erklärt die Sozialwissenschaftlerin Katrin Krämer vom IGES. Sie weist auch darauf hin, dass bei den Beschäftigten eine relativ große Akzeptanz für derartige Mittel bestehe. Die Umfrage ergab, dass über 20 Prozent der Beschäftigten "die Risiken dieser Arzneimittel im Vergleich zum Nutzen" für vertretbar halten.

Brisant ist auch das Ergebnis, dass mit dem Stress am Arbeitsplatz die Akzeptanz und Bereitschaft, solche Mittel einzunehmen, ansteigt. Dies lässt zu Recht befürchten, dass diese Art von Medikamentenmissbrauch zunehmen wird, wenn infolge der Wirtschaftskrise Millionen von Arbeitnehmern um ihre Arbeitsplätze bangen müssen.

Die neuesten Zahlen der AOK zeigen, dass auch 2008 die Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen wieder zugenommen haben. Über acht Prozent der Fehlzeiten von Arbeitnehmern waren auf psychische Probleme zurückzuführen. Seit 1995 sind die psychisch bedingten Krankschreibungen um 80 Prozent gestiegen.

Transparenz im Betrieb kann Angst mildern

"Viele haben die große Wirtschaftskrise in den 1920er-Jahren vor Augen", sagt Anette Wahl-Wachendorf vom Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW). Und die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes sei häufig auch berechtigt. Oftmals könnten jedoch schon eine frühzeitige Kommunikation im Betrieb und transparente Entscheidungen die Angst mildern, sagt Anette Wahl-Wachendorf. Und damit vielleicht auch den Missbrauch von Medikamenten innerhalb der Belegschaft eindämmen.