Ausgabe 12/2009
Prozente und mehr
Von Claudia von Zglinicki
Am 15. Dezember fällt die Entscheidung. Die Bundestarifkommission beschließt an dem Tag in Berlin, was ver.di in der Tarifrunde 2010 von den Arbeitgebern fordern wird - für Krankenschwestern, Busfahrer, Müllwerker, Feuerwehrleute, Beschäftigte in Jugendämtern und allen anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes in Bund und Gemeinden. Zuvor haben viele von ihnen - und nicht nur ver.di-Mitglieder - darüber geredet, was ihnen wichtig ist, wofür sie sich aktiv einsetzen und, wenn nötig, auch auf die Straße gehen würden. In vielen Bereichen haben Mitglieder und andere Interessierte anonym Fragebögen ausgefüllt und klargemacht, was sie wollen.
Es wird die erste Tarifrunde im neuen Jahr sein, nicht nur für ver.di. Sie wird auch deshalb viel Aufmerksamkeit bekommen. Lohnverzicht, so stellte die ver.di-Verhandlungskommission Ende November auf ihrer Tagung in Fulda fest, kommt für die Gewerkschaft nicht in Frage. Das wäre der ökonomisch falsche Weg, denn einerseits muss der Binnenmarkt gestärkt werden, andererseits leisten die Frauen und Männer als Dienstleister für die ganze Gesellschaft sehr viel und verdienen mehr, als sie zurzeit bekommen.
Nicht nur Kohle
Doch in der Debatte der Mitglieder ging es nicht nur um Geld, wenn die Frage "Wie viel Prozent?" auch immer als erste gestellt und in der Öffentlichkeit aufgegriffen wird. Seit vier Jahren gilt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) jetzt. In dieser Zeit ist deutlich geworden, dass sich noch einiges daran ändern muss. So sollten die letzten Ost-West-Unterschiede in der Arbeitszeit in den Gemeinden, bei der Jahressonderzahlung, die im Osten immer noch bei 75 Prozent liegt, und der sozialen Sicherheit endlich beseitigt werden. "Arbeitsplatzsicherheit steht bei uns an erster Stelle", sagt Angelika Kelsch, Personalrätin in der Lutherstadt Wittenberg und Mitglied der ver.di-Bundestarifkommission und der Verhandlungskommission. "Aber auch das Thema Jahressonderzahlung erregt die Gemüter. Und die Weiterführung von Regelungen für den Altersübergang, parallel zur Übernahme von jungen Leuten nach ihrer Ausbildung."
"Qualitative Forderungen sind immer mehr Leuten wichtig. Ein Gesundheitstarifvertrag spielt eine große Rolle; die Zeit- und Bewährungaufstiege und eine Altersteilzeitvariante werden gefordert", sagt Reinhard Dudzik, der wie Angelika Kelsch Mitglied in der ver.di-Bundestarifkommission und der Verhandlungskommission ist. Der gelernte Schlosser und Verwaltungsangestellte arbeitet in Bochum im Studentenwerk und ist Mitglied des Personalrats. Mit dem Fragebogen, der von den ver.di-Fachbereichen Bildung, Wissenschaft, Forschung und Gemeinden in Bochum gemeinsam entwickelt wurde, lief es in seinem Betrieb ausgesprochen gut: Ein Drittel der Befragten hat ihn ausgefüllt. Und rund 70 Prozent erklärten, sie würden selbst etwas tun für ihre Forderungen. Auch streiken.
Viele Kollegen haben Reinhard Dudzik gesagt, die Idee mit dem Fragebogen sei einfach klasse: "Da kommt doch meine Gewerkschaft daher und will genau von mir wissen, was ich denke!". Und was denken die Befragten? "Einen Sockelbetrag von 100 Euro, monatlich auf das Bruttogehalt aufgeschlagen", sagt Dudzik, "plus vier, fünf Prozent mehr. Schließlich sind die Reallöhne seit dem Jahr 2000 um neun Prozent gesunken." Das ist die Forderung aus einem ver.di-Bezirk; bundesweit war die Diskussion bei Redaktionsschluss noch nicht beendet.
In Bochum-Herne wollen die nach dem Oktober 2005 Eingestellten außerdem, dass auch sie die Chance auf Bewährungsaufstiege bekommen, die alle anderen haben. Und noch etwas ist wichtig, sagt Dudzik: "Die Älteren brauchen einen guten Übergang in den Ruhestand, wie es die Altersteilzeitregelung war. Und die Jungen brauchen eine Perspektive, also eine Übernahmegarantie für die Auszubildenden. Beides verknüpft sich, auch die Jungen fordern die Altersteilzeit."
Dudzik hofft, dass die Verhandlungstermine für die Tarifrunde 2010 ausreichen und kein Schlichter gebraucht wird. "Natürlich kommen wir mit einem Riesenstrauß von Wünschen nicht durch", sagt er. "Aber mit einer klaren Forderung. Das haben unsere Leute verdient." Und er erinnert an die Erfahrung: Die Mobilisierungsfähigkeit ist traditionell hoch in Bochum-Herne.