Marke billig - auch bei der Bezahlung

Von Gudrun Giese

Die Verhandlungen waren lang, aber erfolgreich: Ende 2009 erkannte die Geschäftsleitung des zur Edeka-Gruppe gehörenden Discounters Netto die Tarifverträge des Einzelhandels an. Damit waren nach der Übernahme der Tengelmann-Tochter Plus einheitliche Regelungen für die Beschäftigten in den mehr als 3900 Netto-Filialen hergestellt. Doch bei der Umsetzung gab es Probleme. Im Herbst 2010 häuften sich Berichte von Beschäftigten, dass bei Netto gegen Tarifverträge verstoßen werde.

Zufällig trifft es die Aktiven

"Netto muss noch lernen, dass Tarifverträge auch eingehalten werden müssen", sagt Marco Steegmann aus der ver.di-Bundesfachgruppe Einzelhandel zu den Missständen bei der Nummer 3 der deutschen Discounter. Nach Gesprächen zwischen ver.di und der Netto-Geschäftsleitung Ende 2010 habe sich zwar die Tariftreue verbessert. Doch bisher weigert sich das Unternehmen, den Tarifvertrag für geringfügig Beschäftigte umzusetzen. Die gehen mit Stundenlöhnen von 6,50 bis 7,50 Euro (West) bzw. 5,50 Euro (Ost) nach Hause. "Der Arbeitgeber argumentiert, dass die Aushilfen keine Abzüge hätten. Trotzdem ist der Lohn zu gering. Außerdem bekommen die geringfügig Beschäftigten maximal vier Wochen Urlaub im Jahr, was ebenfalls nicht dem Tarifvertrag entspricht", berichtet Heike Gilch, Netto-Betriebsrätin in der Region Ponholz in Bayern.

Dass sich engagierte Betriebsräte wie sie gegen Missstände wehren und auf Umsetzung der Verträge beharren, ist den Netto-Oberen offenbar ein Dorn im Auge. Anders ließe sich kaum erklären, dass Heike Gilch im November 2010 einen neuen Arbeitsvertrag unterschreiben sollte, verbunden mit sofortigem Amtsverzicht. Die Betriebsrätin ließ sich darauf nicht ein - und sah sich Ende Dezember mit einem neuen Vorstoß zu ihrer Entmachtung konfrontiert. Ihr Regionalvertriebsleiter informierte sie, dass ihre Netto-Filiale in Rehau ab 11. Januar 2011 nicht mehr zur Vertriebsregion Ponholz, sondern zu Kitzingen gehören werde. Damit sollte ihre Betriebsratsmitgliedschaft erlöschen. Der ihr als Betriebsrätin zustehende Kündigungsschutz würde beibehalten.

"Ein Verstoß gegen den Tarifvertrag zwischen ver.di und Netto", kommentiert Marco Steegmann. "Eine neue Zuordnung von Filialen und Beschäftigten zu anderen Betriebsratsregionen darf nur mit Zustimmung des Tarifpartners stattfinden. Wir haben dem aber nie zugestimmt!" Durch die Verschiebung von Filialen würden mindestens fünf Betriebsräte ihr Mandat verlieren - "rein zufällig" alles aktive ver.di-Mitglieder.

Zur Not mit rechtlichen Mitteln

Für Heike Gilch ist klar, dass sie ihre Arbeit als Betriebsrätin in der Region Ponholz fortsetzen wird. Andere Betroffene haben jedoch auf ihr Betriebsratsmandat verzichtet. "Solche Vereinbarungen sind nichtig, da sie auf einer nicht existierenden Grundlage geschlossen wurden", sagt Marco Steegmann. Da ver.di der Zuordnung zu anderen Betriebsratsregionen nicht zugestimmt habe, blieben auch die Mandate erhalten.

Neue Konstellationen könnten sich jedoch ergeben, wenn rund 5000 der insgesamt etwa 60000 Netto-Beschäftigten ihre Betriebsräte neu wählen sollten: Bayerische Netto-Betriebsräte hatten die Betriebsratswahlen vom 5. Mai 2010 wegen nachhaltiger Einmischung des Arbeitgebers angefochten. Das Arbeitsgericht Weiden erklärte die Wahlen in erster Instanz im Dezember 2010 für unwirksam. Der Arbeitgeber hat Rechtsmittel gegen den Beschluss eingelegt.

Offen ist auch, wann Netto die Tarifverträge in vollem Umfang umsetzen wird. Marco Steegmann sagt: "Wir werden Netto zur Not auch mit rechtlichen Mitteln auf den richtigen Weg helfen."