Beate Mensch ist ver.di-Verhandlungsführerin bei den Tarifverhandlungen für die rund 175.000 Beschäftigten des Versicherungsgewerbes

ver.di PUBLIK | Am 31. Mai musste die Große Tarifkommission von ver.di die Verhandlungen über einen neuen Einkommenstarifvertrag nach der dritten Runde für gescheitert erklären. Warum?

BEATE MENSCH | Die Arbeitgeber wollten uns zu einer Paketlösung zwingen. Ein Tarifabschluss mit einer - übrigens geringen - Einkommenssteigerung ist für sie nur mit einer Verschlechterung des Manteltarifvertrags möglich. Sie bestreiten zwar, dass es eine Verschlechterung ist, aber es geht ihnen tatsächlich darum, mehr Menschen in Niedriglohngruppen zu beschäftigen und befristete Einstellungen auszuweiten.

ver.di PUBLIK | Wie reagieren ver.di und die Beschäftigten?

MENSCH | Wir wollen einen Paradigmenwechsel herbeiführen, unseren Blick also verändern, indem wir sagen: Die wirtschaftliche Situation der Branche und der Gesellschaft insgesamt macht es mehr als möglich, die Beschäftigten an den großen Gewinnen der Versicherungen zu beteiligen. Sie sind es schließlich, die durch ihre gute Arbeit dazu beitragen. Es kann nicht sein, dass sie ihre Lohnerhöhung durch Verzicht an anderer Stelle selbst bezahlen. Außerdem sind wir als Tarifpartner nicht für die Ausweitung von prekärer Beschäftigung zu haben. Die wird es mit uns nicht geben.

ver.di PUBLIK | ver.di hat in der Versicherungsbranche nicht sehr viele Mitglieder - eine äußerst schwierige Situation.

MENSCH | Ja, es ist eine Art Erpressungssituation. Aber wir lassen uns nicht erpressen. Die Veränderung unserer Haltung ergibt sich auch aus der Erfahrung, dass wir mit Zugeständnissen in vergangenen Tarifrunden keine neuen Mitglieder in den Betrieben gewonnen haben.

ver.di PUBLIK | Was soll sich verändern?

MENSCH | Wir müssen unsere betriebliche Gewerkschaftsarbeit auf den Prüfstand stellen. Es geht darum, wie viel Transparenz und Beteiligung ver.di anbietet, um die Kolleginnen und Kollegen einzubeziehen. Mit einer Art Stellvertreterpolitik kommen wir nicht mehr aus, wir brauchen viele Aktive, die sich beteiligen und nicht nur "die Gewerkschaft" machen lassen. Wenn die Arbeitgeber die Sozialpartnerschaft aufkündigen, fällt uns der niedrige Organisationsgrad auf die Füße. An dem Punkt stehen wir gerade. Zugleich ist die Stimmung der Beteiligten an den Streiks aber zuversichtlich und selbstbewusst. Wir wollen einen Tarifabschluss, nur nicht um jeden Preis. Da müssen wir auch größere Konflikte miteinander aushalten.

ver.di PUBLIK | Vom 20. bis 22. Juni standen 10.000 Frauen und Männer aus Versicherungen überall in Deutschland auf der Straße; es kam nach Warnstreiks im Mai zu ganztägigen Streiks. Wie geht es weiter?

MENSCH | Wir sind nach wie vor verhandlungsbereit, um zu einem guten Entgeltabschluss zu kommen.

ver.di PUBLIK | Es sind deine ersten bundesweiten Tarifverhandlungen in der Versicherungswirtschaft. Wie lief es bisher für dich?

MENSCH | Es ist eine anstrengende Situation, aber mit den Kolleginnen und Kollegen und der Tarifkommission ist es auch eine energiespendende, positive gemeinsame Erfahrung - bei allen Schwierigkeiten. Wir sind ein neues Team und stellen uns jetzt diesen harten Angriffen. Dabei erleben wir eine unglaublich große Unterstützung und Rückendeckung durch die Belegschaften.

Interview: Claudia von Zglinicki

"Für die Ausweitung prekärer Beschäftigung sind wir nicht zu haben"