Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt in etwa 10.000 Fällen wegen Sozialversicherungsbetrugs in öffentlichen Schulen. Zwischen 2002 und 2010 wurden in Niedersachsen viele Pädagogen in der Ganztagsbetreuung eingesetzt, die ganz normal im Schulalltag integriert waren: Die Direktoren gaben ihnen Weisungen, Arbeitszeit und -ort waren ebenso vorgegeben wie die Inhalte. Trotzdem bekamen diese Lehrkräfte nur Honorarverträge und galten offiziell als Selbstständige. Der Vorteil für die Arbeitgeberseite: Sie sparte die Beiträge für die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung; die Beschäftigten waren dafür allein verantwortlich.

"Wir haben jede Menge Unterlagen sichergestellt", sagt Oberstaatsanwalt Manfred Knothe. Etwa 20 Beschäftigte von der Deutschen Rentenversicherungsanstalt, der Polizei und dem Hauptzollamt studieren gegenwärtig die Papiere. Knothe rechnet damit, dass die Ermittlungen erst im kommenden Jahr abgeschlossen sein werden. Wer dann gegebenenfalls auf der Anklagebank Platz nehmen muss, sei noch unklar: "Der- oder diejenigen sitzen wohl irgendwo im niedersächsischen Kultusministerium." Neben dieser strafrechtlichen Frage könnten auf das Land aber auch hohe Nachzahlungen an die Sozialversicherungen zukommen. Im Landeshaushalt sind allein für die Strafzahlung nach Recherchen der GEW bereits 24 Millionen Euro eingeplant.

Im Prinzip nicht anders ist die Situation von über 11.500 Dozent/innen, die auf Honorarbasis verpflichtende Sprachkurse für Einwanderer geben. Innerhalb von 600 Stunden sollen sie den Migrant/innen das Sprachniveau B1 beibringen, was in dieser Zeit kaum zu schaffen ist. Wie das dennoch erreicht werden soll, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge genau festgelegt. Außerdem verlangt es hohe spezifische Qualifikationen der Lehrkräfte. Trotzdem gelten auch sie offiziell als selbstständig - und sind entsprechend auch selbst für die Beiträge zu den Sozialversicherungen verantwortlich.

Der Fall Haala

Seit Jahren versuchen einige von ihnen dagegen vorzugehen. Doch das Arbeitsgericht Kiel hat die Klage gegen eine Volkshochschule abgelehnt, weil die Vorgaben vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stammen. Landes- und Bundesarbeitsgericht haben es anschließend abgelehnt, über die Frage zu urteilen, mit der Begründung, es handele sich nicht um eine "entscheidungserhebliche Rechtsfrage". Auch die Deutsche Rentenversicherung wollte entsprechende Nachfragen von ver.di publik zu Beitragsnachforderungen "aus datenschutzrechtlichen Gründen" nicht beantworten.

Bisher noch keinen Richterspruch gibt es dagegen im Fall von Roswitha Haala, die schon als Beamtin, Angestellte und Honorarkraft unterrichtet hat und nach eigener Aussage nirgendwo so enge Vorgaben bekam wie in den Integrationskursen (ver.di publik berichtete 05_2008). Sie hatte im Juli 2007 Klage vorm Sozialgericht gegen die Deutsche Rentenversicherungsanstalt eingereicht, nachdem diese es abgelehnt hatte, sie als Scheinselbstständige anzuerkennen. Doch das Verfahren zieht sich seit vier Jahren hin. Es kam noch nicht einmal zum ersten Gerichtstermin, geschweige denn zu einem erstinstanzlichen Urteil.

Roswitha Haala vermutet dahinter eine Verzögerungstaktik - schließlich würde es für die Bundeskasse sehr teuer, wenn sie und ihresgleichen Recht bekämen. Ihren Job ist die Deutschlehrerin dagegen los: Nachdem die Volkshochschule Post vom Gericht mit zahlreichen Fragen bekommen hatte, verzichtete sie lieber auf Frau Haalas weitere Dienste. Nicht einmal kündigen musste sie ihr: Haala gilt ja schließlich als "selbstständige Unternehmerin". Annette Jensen