Werden hier bald tausende Arbeitsplätze zu Grabe getragen? E.ON-Kundgebung in München

"Ich hätte mir nie träumen lassen, einmal für den Erhalt meines Arbeitsplatzes zu demonstrieren." Martin Müller (Name geändert) steht auf dem Münchner Königsplatz, Wollmantel, Anzug, Krawatte, zusätzlich eine rote Trillerpfeife um den Hals. Der Angestellte ist einer von mehr als 2200 Menschen, die hier am 27. Oktober gegen die Politik des E.ON AG Konzerns demonstrieren. Es ist der Auftakt der bundesweiten ver.di-Aktionswoche. Busse haben E.ON-Mitarbeiter/innen aus ganz Bayern in die Landeshauptstadt gebracht. Anlass ist der vom Konzern angekündigte Massenabbau von Arbeitsplätzen. Von 11.000 bedrohten Stellen weltweit ist die Rede, davon bis zu 6500 in Deutschland.

Hier wird's laut

So mancher, der sich zur Kungebung unter den Propyläen, einem klassizistischen Tor monumentalen Ausmaßes, eingefunden hat, trägt wie Martin Müller gehobene Bürokleidung. Kein Wunder: Auch die Verwaltung des E.ON-Konzerns wäre von den Einsparungen an Arbeitsplätzen betroffen.

Kämpferisch ist die Stimmung in der bayerischen Landeshauptstadt. Wer keine Ohrstöpsel dabei hat, hält sich bisweilen die Ohren zu, so laut wird auf dem Königsplatz gepfiffen und getrötet. Der empörte Zorn der Mitarbeiter ist nicht zu überhören. Auch die Podiumsredner heizen dem Publikum ein. Neben dem SPD-Abgeordneten Markus Rinderspacher begrüßt der Generalsekretär der CSU, Alexander Dobrindt, den Vorstoß der Gewerkschaft: "Die Mitarbeiter haben ein Recht darauf, in alle Entscheidungen eingebunden zu werden!" Christian Hanika, der Vorsitzende der Konzernjugend- und Auszubildendenvertretung bei E.ON, steht vorn und skandiert im Chor mit den jungen Leuten: "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut!" Hanika macht sich stark für die Übernahme aller E.ON-Azubis.

Einhellig beklagen die Redner die mangelnde Transparenz anstehender Konzernentscheidungen. ver.di fordert vom Konzernvorstand den Erhalt der Arbeitsplätze, die Sicherung der Standorte, den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und sofortige Verhandlungen über die Zukunft des Unternehmens mit Betriebsrat und Gewerkschaft.

Damit sich etwas tut

Während der Konzern E.ON vor allem den neuen Kurs der Bundesregierung in der Atompolitik für die entstandenen Ertragseinbußen verantwortlich macht, die zu einer Umstrukturierung der AG führten, verweist die Gewerkschaft auf Fehlentscheidungen des Managements, etwa Auslandsgeschäfte, die die Beschäftigten jetzt auszubaden hätten. "Die Beschäftigten haben es satt, für die Fehler des Vorstandes den Kopf hinzuhalten", sagt Matthias Jena, Vorsitzender des DGB Bayern.

Die Mitarbeiter einbeziehen, ihr Wissen, ihre Kreativität für neue unternehmerische Konzepte in Zeiten der chancenreichen Energiewende nutzen und in den deutschen Markt investieren: Das wäre, sagt Jürgen Feuchtmann von ver.di, der Organisator der Veranstaltung in München, der derzeit gebotene Weg. Und zum AKW-Rückbau: Wer, wenn nicht die erfahrenen E.ON-Mitarbeiter selbst, wären dafür prädestiniert, stillgelegte Kernkraftwerke in grüne Nutzungsflächen zurückzuverwandeln? "Dafür braucht man Fachkräfte, die die Anlage kennen, nicht Fremdfirmen." Zeit sei es, so Feuchtmann, dem Vorstand einen "gewaltigen Schuss vor den Bug" zu versetzen.

"Je mehr Menschen jetzt mitmachen und zuversichtlich sind, desto größer ist die Chance, dass sich etwas tut", sagt ein Teilnehmer der Kundgebung, der früh um sieben aus Kolbermoor angereist ist. Seine Kollegen und er haben schon oft demonstriert. Ihre Hoffnung beziehen sie aus den guten Erfahrungen früherer Demos: "Wir machen Druck, das wirkt." Martin Müller überlegt sich jetzt, ver.di-Mitglied zu werden, denn sein Eindruck ist: "Hier wird wirklich etwas gegen den Stellenabbau getan."

Am 3. November, noch während der ver.di-Aktionswoche, fordert die gemeinsame Verhandlungskommission von ver.di und IG BCE den Konzernvorstand der E.ON AG und die Unternehmen der Tarifgemeinschaft auf, sofort Tarifverhandlungen für die Beschäftigten aufzunehmen.

Die Aktionswoche wirkt

"Der angedrohte Abbau von Arbeitsplätzen betrifft alle Konzerngesellschaften und Standorte mit weitreichenden Folgen für die Beschäftigten", sagt ver.di-Bundesvorstandsmitglied Erhard Ott. "Die Beschäftigten werden weiterhin im Unsicheren gelassen. Das ist unzumutbar." ver.di fordert daher den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, Arbeitsplatz- und Standortsicherung und Beschäftigungssicherung.

Am 7. November geht die ver.di-Aktionswoche in Hannover zu Ende - so lautstark wie sie in München begonnen hat. 4000 E.ON-Beschäftigte aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern sind dabei. Und die Aktionswoche mit vielen Teilnehmern bewirkt etwas: Der E.ON-Vorstand bietet ver.di Tarifverhandlungen an.