Ausgabe 04/2013
Unordnung auf dem europäischen Arbeitsmarkt
SONJA BARKO ist in der ver.di-Bundesverwaltung Bereichsleiterin für Migrationspolitik
Zu den zentralen Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes und seiner Mitgliedsgewerkschaften zur Bundestagswahl im September 2013 gehören eine neue Ordnung der Arbeit und ein soziales Europa. Es ist höchste Zeit, die Arbeitsmigration in der EU und darüber hinaus zum Bestandteil dieses Forderungspakets zu machen. Mit der kompletten Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU und der Entwicklung der Dienstleistungsfreiheit werden die blinden Flecken bei der Regulierung grenzüberschreitender Erwerbsarbeit offenkundig. So gibt es keine ausreichenden Informationen und Unterstützungsstrukturen für EU-Bürger/innen, die ihr Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit nutzen. Ganz dramatisch ist es für Arbeitnehmer/innen, die auf dem Weg der Entsendung durch Unternehmen in ihren Heimatländern in Deutschland arbeiten. Oft kommen sie über dubiose Agenturen und Personaldienstleister, deren Geschäftsmodell schlicht Lohndumping heißt. Oder sie werden mit Versprechungen geködert und dann in Scheinselbstständigkeit und Werkverträge gezwungen. Die Auswirkungen sind für die Betroffenen wie auch für einige Branchen katastrophal.
Das bleibt nicht ohne Folgen für die Beschäftigten in Deutschland. Wie das Beispiel der Fleischindustrie zeigt, werden durch die ungenügende Regulierung der Arbeitsmigration nicht nur viele tarifgebundene Arbeitsplätze in Deutschland abgebaut - die Auswirkungen machen auch vor den Nachbarländern Belgien, Dänemark und Frankreich nicht halt. Auch aus dem Güterverkehr wird von alarmierenden Entwicklungen berichtet. Von den Beratungsstellen des DGB-Projekts "Faire Mobilität" erreichen uns täglich Nachrichten über Lohnbetrug, fehlenden Arbeitsschutz und unmenschlichen Umgang mit Arbeitsmigranten aus der EU.
Der europäische Arbeitsmarkt braucht bessere Regeln. Bundesregierung und europäische Institutionen müssen schnell und umfassend für faire Bedingungen für alle Arbeitnehmer/innen sorgen. Die konkrete Politik sieht aber düster aus. Seit Monaten wird im Europaparlament um den Richtlinienvorschlag zur "Durchsetzung der Richtlinie 96/71 über die Entsendung von Arbeitnehmern" gerungen. Hartnäckig versuchen die neoliberalen Kräfte in Parlament und Kommission, die Bedingungen für die Arbeitnehmer/innen zu verschlechtern. Und die Bundesregierung unterstützt diese Politik in Brüssel. Gleiches gilt für einen weiteren neuen Richtlinienentwurf der Kommission zur Erleichterung der Freizügigkeit. Danach sollen grenzüberschreitende Leiharbeit und die Erbringung von Leistungen durch Selbstständige aus dem Schutz vor Diskriminierung ausgeschlossen werden. Das ist unhaltbar. Von der EU-Kommission, dem Rat und der Bundesregierung ist ein Politikwechsel ohne Druck jedoch nicht zu erwarten. Die Eingriffe in die Tarifautonomie und Arbeitnehmerrechte in den Krisenstaaten zeigen vielmehr die radikale Abkehr von den Zielen im EU-Vertrag und der Europäischen Grundrechtecharta. Machen wir die Unordnung auf dem europäischen Arbeitsmarkt zum Thema im Wahlkampf - für ein soziales Europa.