Eine von vielen, die wissen, dass sie mehr wert sind - auf der ver.di-Kundgebung der AWO-Beschäftigten in Bochum

von Susanne Kailitz

Mit Kindern zu arbeiten, dabei zu sein, wenn sie ihre Welt entdecken: Das ist Marius Neuhofens Traumberuf. Deshalb macht der 19-Jährige eine Ausbildung zum Erzieher, bei der Arbeiterwohlfahrt Nordrhein-Westfalen. Weniger traumhaft findet er dagegen, dass sein Arbeitgeber den Mitarbeiter/innen deutlich weniger Geld zahlt als kommunale Kitas. Wer die gleiche gute Arbeit leiste wie Kollegen im öffentlichen Dienst, findet Neuhofen, der soll auch gleich bezahlt werden. Alles andere sei ungerecht.

Das findet auch ver.di. Schon fünfmal hat die Gewerkschaft mit der AWO verhandelt, seit der Entgelttarifvertrag im Juli 2014 gekündigt wurde. Fünfmal waren die Verhandlungen erfolglos, viermal wurde gestreikt. Worum geht es eigentlich? "Wir orientieren uns bei den Forderungen am öffentlichen Dienst", sagt ver.di-Verhandlungsführer Wolfgang Cremer. Ursprünglich hatte die Gewerkschaft eine pauschale Lohnerhöhung um 150 Euro und eine zusätzliche Erhöhung von 3,5 Prozent für die 36.000 AWO-Beschäftigten gefordert. Der Wert der Arbeit dürfe bei der AWO nicht geringer geschätzt werden als in vergleichbaren kommunalen Einrichtungen, so Cremer. Rund 170 Euro weniger im Monat verdiene eine Erzieherin bei der AWO im Vergleich zur Kollegin im öffentlichen Dienst. Betrachte man alle Leistungen des Tarifvertrags, erreiche die Differenz je nach Entgeltgruppe und Beschäftigungszeit bis zu 400 Euro.

Mit skeptischem Optimismus

Inzwischen stellt sich bei Cremer langsam Zorn ein. "Niemand, der Tarifverhandlungen führt, geht davon aus, dass er am Ende mit dem nach Hause geht, was er zuerst gefordert hat." Aber was die AWO in den vergangenen Runden angeboten habe, sei schlicht zu wenig. Die Gewerkschaft vergleicht die Angebote der letzten Runde: Ging ver.di mit einer Forderung von insgesamt 7,61 Prozent in die Auseinandersetzung und ist nun nach der fünften Verhandlung bei 4,63 Prozent, boten die Arbeitgeber zunächst nur 2,38 Prozent und sind jetzt gerade mal bei 3,55 Prozent.

Nachzulesen ist das auf der Website herzlos-online.de. Die protokolliert die Auseinandersetzung - und zeigt auch, wie kreativ sie geführt wird. Protest muss nicht nur laut sein. Mit einem Staffelstreik quer durchs ganze Bundesland etwa setzt die Gewerkschaft zwar auf Fakten, aber auch auf Emotionen. Oder mit der Idee, dass viele Beschäftigte am 3. Dezember ganz in Schwarz in den Einrichtungen erschienen - weil sie für den Arbeitgeber schwarz sehen. Sich selbst sehen sie mit ihrer guten Arbeit als "Stars an jedem Tag", die eine bessere Bezahlung verdient haben. Der nächste Streik war für den 10. Dezember (nach Redaktionsschluss) angekündigt, die nächste Verhandlung für einen Tag später. Cremer erwartete "mit skeptischem Optimismus" einen Durchbruch. Es gehe um mehr als einen Abschluss. Die AWO hatte immer wieder erklärt, sie könne nicht mehr bezahlen. Schuld sei das Kinderbildungsgesetz, das seit 2008 in NRW gilt und nach dem die Grundfinanzierung der Kitas über sogenannte Kinderpauschalen erfolgt. Die aber fangen die steigenden Personal- und Sachkosten nicht auf. Sinnvoller, als die Einrichtungen zu bestreiken, sei es deshalb, gegen das Kinderbildungsgesetz zu kämpfen, sagt die AWO.

Das hat ver.di getan. "Wir haben auch die AWO aufgefordert, sich daran zu beteiligen, da kam aber nichts", so Cremer. Die AWO dürfe nicht "Billigheimer der Wohlfahrtsverbände auf Kosten der Mitarbeiter" werden. Bleibe sie stur, werde sich der Konflikt verschärfen.