Andrea Kocsis ist stellvertretende ver.di-Vorsitzende

ver.di publik - Die Katze ist aus dem Sack: Der Marktführer Deutsche Post DHL will im boomenden Paketgeschäft mittels Tarifflucht und Vertragsbruch künftig Billigjobs etablieren. Die Aktionäre dürfen jubeln, doch tausende Beschäftigte sollen Lohneinbußen und schlechtere Arbeitsbedingungen akzeptieren. Was treibt den ehemaligen Staatskonzern zu einem solchen sozialpolitischen Skandal?

Andrea Kocsis - Die Deutsche Post DHL steht wirtschaftlich prächtig da. Es gibt aus Sicht der Beschäftigten keinerlei Anlass zur Sorge. Der Vorstand will mit diesem Schritt nicht etwa gute und auskömmliche Arbeitsplätze neu schaffen; es geht vielmehr ausschließlich darum, Kapitalmarktinteressen zu befriedigen. Der Konzern hat im letzten Frühjahr eine auf sieben Jahre ausgelegte Wachstumsprognose ausgegeben. Das Ergebnis soll in diesem Zeitraum von 2,8 auf fünf Milliarden Euro steigen. Dieses Geld soll jetzt bei den Beschäftigten einkassiert werden.

ver.di publik - Auch die scharf kritisierte Befristungspolitik der Post erscheint jetzt in neuem Licht. Bei ver.di war die Rede von "Geiselhaft" für große Teile der Belegschaft. Die Gewerkschaft geht auch davon aus, dass die angekündigten 10 000 Jobs so neu gar nicht sein werden.

Kocsis - Das ist richtig. Der Paketmarkt wächst seit geraumer Zeit, und auch die Deutsche Post AG hat in den vergangenen Jahren begonnen, Beschäftigung aufzubauen. Nun soll dieses Wachstum in eine Billigtochter verlagert werden. Damit ändern sich für die Betroffenen weder Arbeitsplatz noch Aufgabe, sondern nur das Einkommen und die Arbeitsbedingen. Das ist Tarif- und Mitbestimmungsflucht par excellence!

ver.di publik - Der "gelbe Riese" knüpft sein flächendeckendes Netz von Billiggesellschaften angeblich unter dem Konkurrenzdruck der Wettbewerber. Gibt es solche wirtschaftlichen Zwänge?

Kocsis - Die Deutsche Post AG ist mit einem Anteil von 46 Prozent im Paketmarkt klarer Marktführer. Sie verdient mit diesem Geschäft, und sie ist das einzige Unternehmen, das flächendeckend mit einem eigenen Zustellnetz arbeitet. Gerade die Paketzustellung ändert sich spürbar. Neue Zustellformate entstehen. Eigene Beschäftigte ermöglichen es einem Unternehmen, nachhaltig gute Qualität abzuliefern und Vertrauen bei den Kunden aufzubauen. Dieses Plus zerstört die Post AG mit ihrem Schritt jedoch gerade.

ver.di publik - Welche Antwort gibt ver.di auf diesen Fall von Tarif- und Mitbestimmungsflucht?

Kocsis - Es kann auf diesen unglaublichen Vorgang nicht nur eine einzige Antwort geben. Der Vorstand ist mit diesem Schritt aus laufenden Verträgen ausgebrochen. Damit ist seine Glaubwürdigkeit als Tarifvertragspartei für uns grundsätzlich in Frage gestellt. Das wird nicht ohne Konsequenz für unsere künftige Tarifpolitik bleiben. Wir sind im Moment in der Friedenspflicht, aber wir werden tarifpolitisch reagieren. Darüber wird jetzt im Fachbereich intensiv diskutiert. Wir sind eine starke Gewerkschaft und werden die Interessen unserer Mitglieder entschlossen verteidigen.

Interview: Helma Nehrlich

"Das wird nicht ohne Konsequenz für unsere künftige Tarifpolitik bleiben"