Ausgabe 04/2015
Bleiben oder gehen
Es ist am Arbeitsplatz wie sonst auch: Wo es einem gut geht, möchte man bleiben. ver.di hat für den Dienstleistungssektor die repräsentativen Befragungsergebnisse aus dem DGB-Index Gute Arbeit 2014 mit der Bereitschaft verglichen, das Unternehmen zu wechseln. Die Ergebnisse sind eindeutig: Wo gute Arbeitsbedingungen herrschen, möchten nur zwei Prozent der Beschäftigten ihren Arbeitgeber wechseln. 94 Prozent würden bleiben, selbst wenn sie die Gelegenheit zum Wechsel hätten. Wo schlechte Arbeit vorliegt, wird die sogenannte Unternehmensbindung immer schwächer, vor allem, wenn das Betriebsklima schlecht ist und das Geld nicht zum Leben reicht. Dann will jeder zweite gehen, sobald es möglich ist (49 Prozent).
Die Betriebskultur macht's
Die Repräsentativumfrage zeigt: Das größte Manko liegt bei der Betriebskultur - dazu gehören Wertschätzung und kollegiale Hilfe, Meinungsklima, interner Informationsfluss und Planungskompetenz des Vorgesetzen. Beschäftigte, die gehen wollen, bewerten die Betriebskultur auf der bis 100 reichenden Skala um 29 Indexpunkte schlechter als diejenigen, die bleiben wollen, und kommen nur auf 46 Punkte - das ist schlechte Arbeit. Die bleiben wollen, kommen dagegen auf 75 Punkte - die Arbeitsqualität liegt im oberen Mittelfeld. Ab 80 Indexpunkte handelt es sich um gute Arbeit.
Das zweitgrößte Manko gibt es beim Einkommen. Hier fließen folgende Aspekte ein: Lässt sich davon leben? Wird die Rente später einmal ausreichen? Werde ich leistungsgerecht bezahlt? Die Wechselwilligen kommen beim Einkommen auf lediglich 28 Punkte, was eindeutig schlechte Arbeit ist. Erst ab 50 Punkten wäre es Arbeit im unteren Mittelfeld. Auch diejenigen, die bei ihrem Arbeitgeber bleiben wollen, sind noch weit von guten Einkommensbedingungen entfernt. Mit 54 Punkten empfinden sie ihre Einkommenssituation aber deutlich besser als die Gruppe der Wechselwilligen.
Die Bleibewilligen bewerten fast alle Aspekte im DGB-Index im oberen Mittelfeld: Für die Gestaltungsmöglichkeiten geben sie 67 Punkte, für Entwicklungsmöglichkeiten 70 Punkte, für die Betriebskultur 75 Punkte, für den Sinn der Arbeit 85 Punkte (das entspricht sogar guter Arbeit), für die Arbeitszeitlänge 76 Punkte, für emotionale Anforderungen 66 Punkte und für die Beschäftigungssicherheit 78 Punkte.
Dagegen haben es die Wechselwilligen in fast allen Kriterien mit schlechten Arbeitsbedingungen zu tun: Die Gestaltungsmöglichkeiten kommen bei ihnen nur auf 48 Punkte, die Entwicklungsmöglichkeiten auf 49, die Betriebskultur auf 46, emotionale Anforderungen auf 48, körperliche Anforderungen auf 49, die Arbeitsintensität auf 34, das Einkommen nur auf 28 und betriebliche Sozialleistungen auf 42 Punkte.
20 Prozent der Beschäftigten im Dienstleistungssektor quer durch alle Branchen würden gehen, wenn sie könnten. In der Telekommunikation wollen mit zwölf Prozent die allerwenigsten wechseln. Deutlich unter dem Durchschnitt liegen mit 13 Prozent Wechselwilligen auch die Branchen Ver- und Entsorgung, Transport und Verkehr, öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung, Erziehung und Unterricht. Den höchsten Anteil Wechselwilliger weist mit 33 Prozent die IT-Branche auf. Von den dort Beschäftigten wollen damit fast dreimal so viele ihrem Arbeitgeber den Rücken kehren wie in der Telekommunikation.
Erzwungene Prekarisierung
"Befristete Arbeitsverträge, jahrelange Leiharbeit und erzwungene Prekarisierung - die Folge sind Arbeitsverhältnisse, die sich in Richtung Beziehungslosigkeit auf Gegenseitigkeit entwickeln", sagt Lothar Schröder vom ver.di-Bundesvorstand. In extremer Form sei das beim Crowdsourcing zu beobachten, dem Auslagern von Arbeiten über das Internet. Der ständige Preisdruck auf die Arbeitskraft erzeuge keine Loyalität.
Marion Lühring