Ausgabe 08/2015
Am Ende der Geduld
An jedem dritten Dienstag des Monats ab 17 Uhr beraten ehrenamtliche Mediator/innen bei ver.di Berlin-Brandenburg Mitglieder, die Probleme mit Mobbing am Arbeitsplatz haben und ohne vorherige Terminabsprache, ganz spontan, zur Beratung kommen wollen. Fünf Fachleute aus dem ehrenamtlichen Beraterteam wechseln sich bei diesem Angebot ab.
Caroline Meinke ist eine von ihnen. Die 67-Jährige ist ausgebildete Mediatorin, sie war früher Sozialarbeiterin. Am Dienstagabend im November berät sie Sarah Lohse (Name geändert). Die Studentin will - endlich, wie sie sagt - über ihre Sorgen reden. Lange genug hat sie Geduld gehabt und die Schuld für ihre Schwierigkeiten bei sich selbst gesucht. Anderthalb Jahre ist sie jetzt in dem Job in einer kleinen Mechanikfirma, mit dem sie ihr Studium finanziert. Sie ist auf den Job angewiesen. Doch von Anfang an wurde sie gemobbt, so schildert sie es. Niemand habe sie verteidigt, wenn einer der Chefs sie anschrie, was immer häufiger vorkam. Auch der zweite Chef habe schlecht über sie geredet. Sie schlafe seit langem schlecht und habe immer öfter Kopfschmerzen. Jetzt ist sie krankgeschrieben, ohne Lohnfortzahlung. Das sei eben so, habe man ihr gesagt.
Die fünf Ehrenamtlichen bei ver.di Berlin beraten etwa 100 Menschen in jedem Jahr. Die Berater/innen kommen aus unterschiedlichen Berufen, auch eine Juristin ist dabei. Alle sind ausgebildete, erfahrene Mediator/innen. Den Anfang hat vor 20 Jahren die Diplom-Pädagogin Brigitte Hansmeier-Hörning gemacht, dann kamen die anderen nach und nach dazu. Das Team organisiert die monatliche Sprechstunde für alle Mitglieder, die spontan Rat brauchen, als zusätzliches Angebot. Der erste Schritt führt Betroffene meist zu ihrem ver.di-Fachbereich. Der größte Teil der Beratungstermine in der Mobbing- und Konfliktberatung wird über die Internetseite und per E-Mail koordiniert (konfliktberatung.berlin@verdi.org).
"Wir wollen Betroffenen helfen, weil Mobbing krank macht, oft sehr krank", sagt die frühere Gewerkschaftssekretärin Brigitte Hansmeier-Hörning. Den Berater/innen geht es aber auch um die Vorsorge; sie wollen dazu beitragen, dass Mobbing-Fälle in Unternehmen und Verwaltungen gar nicht erst entstehen. "Deshalb", sagt Brigitte Hansmeier-Hörning, "haben wir schon damals bei der ÖTV ein Bildungsprogramm zum Thema Mobbing aufgelegt und von Anfang an vernetzt beraten - gemeinsam mit Betriebs- und Personalräten, Gewerkschaftssekretären und der Rechtsabteilung." Diese Vernetzung sei das Besondere, sie grenze ihre Arbeit von individuellen Beratungsangeboten ab.
Nicht das Opfer ist schuld
Schon 2002 verzeichnete der Mobbing-Report der Bundesregierung, es gebe eine Million von Mobbing betroffene Menschen in Deutschland. Jeden neunten Beschäftigten treffe es im Laufe seines Arbeitslebens. Inzwischen gehen die ver.di-Expert/innen von anderthalb bis zwei Millionen Betroffenen aus. Und die Zahl steigt. Umso wichtiger ist es für Betroffene, sich möglichst früh Unterstützung zu holen, sich zu wehren und abzugrenzen, um die bedrohliche Situation zu beenden.
Die Erfahrungen der Berliner Berater/innen zeigen immer wieder, dass die Ursachen nicht in der Person des Mobbing-opfers liegen, sondern in den Strukturen von Unternehmen oder Verwaltungen. Oft gibt es auch erhebliche Führungsmängel. "Doch überall da, wo Führungskräfte Konflikte und Mobbing ernst nehmen, wo sie den Beschäftigten zuhören, kommt es kaum zu wirklichen Mobbingfällen", sagt Brigitte Hansmeier-Hörning.
Dienstvereinbarungen zeigen Wirkung
Noch besser wirken Dienstvereinbarungen zum Thema Mobbing und Konflikte in den Betrieben, die allen Beschäftigten bekannt sind, von den Führungskräften akzeptiert werden und Hilfesuchenden unkompliziert Unterstützung bieten. Solche wurden zum Beispiel in Berlin beim Nahverkehrsunternehmen BVG und im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg abgeschlossen.
Die "Dienstvereinbarung zur Konfliktregulierung" gilt seit 2006 für alle Beschäftigten in dem Bezirksamt. Für die Beratung wurden von Anfang an interessierte Freiwillige gesucht, in einem internen Verfahren ausgewählt und je nach Bedarf qualifiziert. Für ihren Einsatz als Berater, zum Beispiel in vertraulichen Einzelgesprächen, werden sie von ihrer Arbeit freigestellt.
Wer im Bezirksamt Hilfe braucht, kann sich direkt an den Berater seiner Wahl oder an die Koordinierungsstelle wenden. Der Koordinator vermittelt dann den Kontakt zur Beraterin. Vertraulichkeit ist in jedem Fall garantiert. Im Jahr 2014 konnten die Berater/innen im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg Beschäftigte in 39 Konflikten begleiten, sie stärken und ihnen dabei helfen, Lösungen zu finden.
Am Ende des Gesprächs im Berliner ver.di-Haus sind auch für die jobbende Studentin Sarah Lohse die nächsten Schritte geklärt: Sie wird sich in ihrem ver.di-Fachbereich arbeitsrechtlich beraten lassen und einen neuen Job suchen. Um für sich mit der Mobbing-Erfahrung abzuschließen, will sie einen fiktiven Brief an die Chefs schreiben, in dem sie rauslassen kann, was sie schon lange belastet.
Rat und Hilfe bei Mobbing
Nicht jeder Konflikt am Arbeitsplatz ist gleich ein Mobbingfall, aber Konflikte können eskalieren und zu Mobbing werden. Wie man sie lösen oder vermeiden kann, wie man Mobbing erkennt und gegensteuert und wie geholfen werden kann, dazu gibt es Informationen und Hinweise auf Beratungsangebote für Interessenvertretungen in Betrieben und Verwaltungen und für Mobbing-Betroffene im ver.di-Mitgliedernetz: www.mitgliedernetz.verdi.de
Informationen und Online-Terminvereinbarung für ver.di-Mitglieder in Berlin-Brandenburg: www.bb.verdi.de/service/beratung-und-unterstuetzung
Jedes ver.di-Mitglied hat Anspruch auf Beratung im Mobbingfall. Betroffene sollten in den ver.di-Bezirken mit dem jeweiligen Fachbereich Kontakt aufnehmen, der dann weiterhilft. Beratungsangebote gibt es in vielen ver.di-Bezirken.
Informationen und Mobbing-Landkarte vom Institut zur Fortbildung von Betriebsräten: www.betriebsrat.de/mobbing-konflikt