Vera Krüger (Name geändert) ist eine Krankenschwester wie aus dem Bilderbuch: Für ihre Patientinnen und Patienten reibt sie sich auf, handelt es sich doch um betagte und oft demente Menschen auf der geriatrischen Station eines Berliner Krankenhauses. Immer häufiger spürt die Mittvierzigerin jedoch, dass sie die Grenzen ihrer Belastbarkeit erreicht. "Wenn ich nach Hause komme, möchte ich mich am liebsten sofort hinlegen und schlafen", sagt sie. Doch in der kleinen Doppelhaushälfte im Süden Berlins warten weitere Pflichten auf die Krankenschwester. "Mein Mann und ich versuchen zwar, Haushalt und Kinderbetreuung gerecht zu verteilen, aber bestimmte Sachen bleiben meistens an mir hängen - Bügeln etwa oder die Hausaufgabenbetreuung. Oft bin ich aber zu kaputt und erschöpft dazu."

Vielen Beschäftigten im Gesundheitswesen geht es ganz ähnlich: Die Befragung zum "DGB-Index Gute Arbeit 2017" förderte zu Tage, dass diese Arbeitnehmer/innengruppe "sehr häufig" oder "oft" nach der Arbeit zu erschöpft sei, um sich noch mit voller Kraft um private oder familiäre Angelegenheiten zu kümmern. 53 Prozent der Befragten (siehe Grafik) äußerten sich entsprechend. Noch höher liegt der Anteil der arbeitsbedingten Erschöpfung bei Beschäftigten im Sozialwesen: Insgesamt 55 Prozent waren sehr häufig oder oft übermäßig erschöpft durch den Arbeitsstress. Ganz allgemein nannten 43 Prozent der Beschäftigten aus Dienstleistungsberufen arbeitsbedingte Erschöpfung als Vereinbarkeitserschwernis gegenüber 38 Prozent der Arbeitnehmer/innen des produzierenden Gewerbes.

"Gute Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass sie den Beschäftigten ermöglicht, Erwerbsarbeit, Familie und private Interessen unter einen Hut zu bringen", heißt es im Vorwort zum Index Gute Arbeit. Dass so viele Beschäftigte - über alle Branchen verteilt 41 Prozent - sehr häufig oder oft unter erheblicher Erschöpfung durch zu hohe Arbeitsbelastung leiden müssten, sei ein Indiz für eine Fehlsteuerung bei den Arbeitszeiten. Die weite Verbreitung von atypischen Arbeitszeitlagen an Wochenenden, abends und nachts sowie überlange Arbeitszeiten gingen zu Lasten familiärer und privater Angelegenheiten.

Frauen sind generell stärker belastet

Die Befragung ergab zudem, wo die Arbeitsbedingungen insgesamt schlecht sind, liegt der Anteil der Beschäftigten mit Arbeitsstress und zeitlich bedingten Vereinbarkeitsproblemen sechs- bis siebenmal höher als bei guten Arbeitsbedingungen. Wer emotional hohen Belastungen am Arbeitsplatz ausgesetzt ist, sich etwa herablassender Behandlung ausgesetzt sieht oder gehetzt arbeitet, leidet stärker unter großer Erschöpfung. Vereinbarkeitsprobleme nennen mehr als ein Viertel der Beschäftigten, die Kinder betreuen oder Angehörige pflegen. Auch hier zeigt sich, dass jene mehr unter Druck stehen, die unter schlechter Arbeit leiden. Frauen sind generell stärker belastet als Männer. Außerdem verzichten 71 Prozent der in Teilzeit arbeitenden Frauen aus Gründen der Vereinbarkeit auf mehr Arbeit - die spätere Rückkehr in Vollzeit wird vielen zudem verwehrt.

In ihrem Vorwort schreiben der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann und Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand auch, worauf es noch ankäme: "Immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wünschen sich [...] eine partnerschaftliche und geschlechtergerechte Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit." Vera Krüger fordert obendrein endlich einen vernünftigen Pflegeschlüssel; mehr Arbeitskräfte auf der Station wären ein gutes Mittel gegen den Dauerstress.

Hier geht es zum Report:http://index-gute-arbeit.dgb.de