Ausgabe 03/2020
Immer auf die Kleinen
Nach Jahren der Wirtschaftskrise und der Kürzungsdiktate ging es für Griechenland zuletzt endlich wieder bergauf. Zu Beginn dieses Jahres befand sich Griechenland in der besten wirtschaftlichen Verfassung, die es seit Jahren hatte. Die Arbeitslosigkeit sank im Januar auf 16,4 Prozent. Die Bonitätsbeurteilung des Landes wurde wieder als stabil eingestuft. Doch die Corona-Pandemie kann Griechenland nun einen harten Rückschlag versetzen. Seit fast zwei Monaten befindet sich das Land im Lockdown. Als Folge des Stillstands werden massive wirtschaftliche Einbußen erwartet. Schon in den ersten Tagen kam es zu Massenentlassungen, die Arbeitslosigkeit könnte schnell wieder auf bis zu 22,3 Prozent steigen.
"Besonders die Tourismusbranche, die etwa 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, wird hart von der Corona-Pandemie getroffen", sagt Theodore Krintas. Auch wenn Touristen vielleicht bereits im Juni wieder einreisen könnten, so der Wirtschaftswissenschaftler, würde das BIP im Jahre 2020 um drei bis vier Prozent zurückgehen. Sollte die Corona-Pandemie anhalten und die Tourismusbranche die gesamte Saison 2020 verlieren, werde die Zahl noch sehr viel schlimmer aussehen.
Die Taxifahrerin
Der ausbleibende Tourismus zieht weite Kreise. Nicht nur die zahlreichen Saisonarbeiterinnen, Hotelbesitzer und Gastronomen hängen davon ab. "Auch für uns ist das die Hauptsaison", sagt Persa Tsonatou. Die 53-Jährige arbeitet in Athen als Taxifahrerin. Wenn die Touristen ausbleiben, habe auch sie sehr viel weniger Einnahmen. "Von November bis März läuft es eher ruhig für die Taxifahrer, aber ausgerechnet jetzt holt uns das Virus ein", sagt sie. Gemeinsam mit einem Freund hat Tsonatou ein Taxi und die Fahrerlizenz angemietet. "Doch seit dem 13. März dürfen wir nicht mehr arbeiten." Aktuell habe sie keine Einnahmen und als Freischaffende keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.
"Es ist hart, ich erlebe innerhalb von zehn Jahren schon die zweite Krise", sagt Tsonatou und seufzt. Jahrelang hatte sie als gut bezahlte freiberufliche Drehbuchautorin fürs Fernsehen gearbeitet und ihr Leben danach ausgerichtet. Dann kam die Wirtschaftskrise. "Von einen Tag auf den anderen stand ich ohne Einnahmen da", erzählt sie. Doch das Darlehen ihrer Eigentumswohnung lief weiter, der Schuldenberg wuchs. Freunde und Familie halfen, wo es nur ging. "Das war wohl die schwerste Zeit meines Lebens", sagt sie.
Das Darlehen ist auch heute noch nicht abbezahlt. "Doch eine Wohnung anzumieten, ist auch keine Option. Niemand vermietet an jemanden ohne ein festes Einkommen, allerdings wird man aus einem gekauften Erstwohnsitz nicht so leicht herausgeworfen", sagt sie. Da momentan alles stillsteht, sind die Darlehenszahlungen der Wohnung ausgesetzt. "Dadurch kann ich wenigstens ein bisschen durchatmen."
Um die Bürger*innen in diesen unsicheren Zeiten etwas zu unterstützen, hält der griechische Staat unterschied-liche Hilfsgelder bereit. So zahlt er Selbstständigen für zwei Monate 800 Euro. "Danach wissen wir aber nicht, was kommt", so Tsonatou. Zwar dürfe sie voraussichtlich ab Anfang Mai wieder arbeiten, allerdings mit der Auflage, dass sie nur einen Gast im Taxi transportieren dürfe. "Das wird kaum jemand machen, unsere Einnahmen werden auf fast null bleiben." Überleben könne sie so nicht.
Der Auslieferer
Auch zahlreiche kleine Unternehmen haben hart mit der Corona-Krise zu kämpfen. "Es wird besonders schwierig für Unternehmen mit Cashflow – wie zum Beispiel Einzelunternehmer, die Take-Away-Fast-Food anbieten", sagt Wirtschaftswissenschaftler Krintas. Das brauche man nicht für den täglichen Bedarf. Diese Unternehmen haben meist keine großen Rücklagen und sind auf die täglichen Einnahmen angewiesen. Doch die Menschen in ihren Wohnungen kochen selbst, kaufen aus Unsicherheit vor den wirtschaftlichen Folgen nur noch das Nötigste.
Geschäfte des täglichen Gebrauchs können sich halten, indem sie nun verstärkt einen Lieferservice anbieten. Spyros Amanatidis arbeitet seit gut sieben Jahren als Auslieferer in einer Cafeteria mit Bäckerei. "Ja, die Menschen bestellen seit dem Ausbruch der Pandemie viel mehr als zuvor", sagt der 34-Jährige. Denn die meisten möchten ihre Wohnung aus Sorge vor einer Ansteckung so selten wie möglich verlassen.
"Ich muss zugeben, ich mache mir natürlich Sorgen, während ich arbeite", so Amanatidis. Jeden Tag treffe er beim Ausliefern der Ware auf viele Menschen. Klar trage er Maske und Handschuhe. Auch habe er immer ein Desinfektionsmittel dabei. "Aber mir ist trotz meiner Angst vor Ansteckung auch bewusst: Ich habe noch Glück im Unglück, weil ich Arbeit habe."
An die Zukunft möchte er nicht denken. "Ich lebe in ständiger Unsicherheit, denn wenn durch einen Anstieg der Coronainfektionen plötzlich alles stillsteht, kann ich mich nicht mehr finanzieren. Ich lebe, trotz niedriger Ausgaben, von der Hand in den Mund."
Pro Monat verdient Amanatidis etwa 700 Euro. Hinzu kommen Überstunden und Trinkgelder. Wenn das Geschäft schließen muss, hat er zwar einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, doch das liegt in Griechenland bei 460 Euro pro Monat. "Davon könnte ich gerade mal meine Monatsmiete bezahlen." Und: Arbeitslosengeld gibt es nur für ein Jahr, anschließend werden die Menschen in die Armut entlassen.
Wie hart das Land und seine Bevölkerung von den Folgen der Corona-Pandemie getroffen werden wird, ist noch nicht abzusehen. Verschiedenen Schätzungen nach wird das BIP um vier Prozent bis zu über elf Prozent schrumpfen. Theodore Krintas ist optimistisch und geht davon aus, dass sich das Land recht schnell von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie erholen wird. "Man sollte die Corona-Krise nicht mit der Schuldenkrise von 2008 vergleichen", sagt der Wirtschaftsexperte. Die Pandemie sei ein weltweites Phänomen und keine hausgemachte Krise. Die griechische Wirtschaft sei intakt und werde, nachdem die Pandemie überstanden ist, wieder loslegen.
Einen positiven Aspekt könnte die Pandemie zudem mit sich bringen, so Krintas. Griechenland arbeite in zahlreichen Behörden noch mit veralteter Technik und auf Papier. Aktuell muss digital gearbeitet werden. "Ich hoffe sehr, dass uns das auch in Zukunft erhalten bleibt, denn die daraus resultierenden Zeitersparnisse sind enorm."