Liberal auf Teufel komm raus

Briefe über Briefe. Im Internationalen ostzentrum Frankfurt am Main

Das Monopol der Post bröckelt. Nach dem Postgesetz soll das noch verbliebene Monopol für Briefe mit einem Gewicht bis zu 50 Gramm zum Ende des Jahres auslaufen, ab 2009 sollen dann auch die Briefmärkte in allen EU-Staaten vollständig für den Wettbewerb geöffnet werden. Das waren die bisherigen Pläne - doch der Termin für die Öffnung der Briefmärkte in Deutschland und Europa steht nun in Frage, nachdem Länder wie Frankreich, Belgien und Italien die Postmonopole für Briefe unter 50 Gramm bis 2011 verlängern wollen. Die osteuropäischen Länder, Griechenland und Portugal fordern sogar eine Übergangsfrist bis 2013.

30000 Arbeitsplätze in Gefahr

Da sich derzeit keine EU-Mehrheit für eine baldige Öffnung der Briefmärkte findet, steht nun auch der Liberalisierungstermin in Deutschland zur Disposition. ver.di fordert, die so genannte "Exklusivlizenz" der Deutschen Post AG zu verlängern, bis die Rahmenbedingungen für einen europaweit fairen Wettbewerb gesichert sind. Der Fachbereich Postdienste, Speditionen und Logistik bei ver.di erklärt, bei einer verfehlten Politik seien in Deutschland rund 30000 Arbeitsplätze bei der gelben Post in Gefahr.

Der ver.di-Forderung nach einer einheitlichen Liberalisierung im europäischen Gleichklang hat sich nun auch die SPD angeschlossen. "Man darf zwar Vorreiter sein, aber nicht blöd", werden Bundesfinanzminister Steinbrück und Vizekanzler Müntefering zitiert. Sie warnen vor den negativen Folgen einer einseitigen Öffnung des deutschen Briefmarktes. Ausländische Postunternehmen könnten dann nämlich in Deutschland der Deutschen Post AG Konkurrenz machen, während ihr der Zugang zu den Postmärkten in den anderen EU-Ländern weiter verschlossen bliebe.

Druck durch die Neuen

Schon jetzt steht die Deutsche Post unter Druck. Auf rund zehn Prozent Marktanteil kamen die neuen Briefdienstleister im letzten Jahr. Mit der TNT Post, einem Ableger der niederländischen Postgesellschaft, und der PIN Group, an der Zeitungsverlage beteiligt sind, stehen zwei große Wettbewerber in den Startlöchern, um weitere Anteile am zehn Milliarden Euro schweren deutschen Briefmarkt zu ergattern. Die privaten Briefdienstleister locken neue Kunden, besonders Großversender wie Banken, Telekommunikationsunternehmen oder Behörden, durch ihre niedrigen Preise, die rund 25 Prozent unterhalb der Posttarife liegen.

Problematisch ist, "dass die neuen Wettbewerber ihre Kostenvorteile überwiegend aufgrund der prekären Arbeits- und Einkommensbedingungen ihrer Beschäftigten erreichen können", wie eine im Auftrag von ver.di erarbeitete Studie von Input Consulting belegt.

Selbst bei Vollzeitbeschäftigung reichen die Löhne der Postkonkurrenten den Briefzustellern kaum zum Leben. Viele der dort Beschäftigten sind daher zusätzlich auf Arbeitslosengeld II angewiesen. Dabei sollten genau solche prekären Arbeitsbedingungen und ein Wettbewerb auf Basis von Lohndumping bei der Liberalisierung des Briefmarktes in Deutschland verhindert werden. Bei der Verabschiedung des Postgesetzes im Jahr 1997 nämlich nahm der Gesetzgeber eine Sozialklausel auf, die die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde verpflichtet, Unternehmen die Lizenz zur Briefbeförderung zu verweigern, wenn sie die in der Branche üblichen Arbeitsbedingungen erheblich unterschreiten. Hans-Martin Bury (SPD), einer der politischen Väter des Postgesetzes, stellte unlängst bei einer Diskussion der Friedrich-Ebert-Stiftung fest: "Was Wille des Gesetzgebers war, ist offensichtlich nicht umgesetzt."

Andrea Kocsis, im ver.di-Bundesvorstand für die Postdienste zuständig, hat daher den Präsidenten der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth (SPD), aufgefordert, gegen Lohndumping im Briefmarkt vorzugehen und die Sozialklausel des Postgesetzes endlich anzuwenden. Solange die im deutschen Postgesetz verankerten sozialen Rahmenbedingungen für den Wettbewerb im Briefmarkt nicht umgesetzt sind, könne auch der nächste Liberalisierungsschritt nicht getan werden. Die Beschäftigten und ver.di fordern die gleichzeitige Marktöffnung für alle Länder in Europa, einen Mindestlohn im Postsektor und die verbindliche Festschreibung der sozialen Standards bei der Vergabe für Brieflizenzen.

www.psl.verdi.de

Studie von Input Consulting GmbH zu den Beschäftigungsbedingungen bei den neuen Briefdienstleistern: www.input-consulting.com/ publish

Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stifung zu Wettbewerb und Prekarität im deutschen Briefmarkt: www.fes.de/wiso/inhalt/i_abp_v.htm


Susanne Kiesel ist Betriebsrätin im Briefzentrum Hamburg-Zentrum

Die Privaten kommen

Schrumpfende Briefberge, trotzdem immer mehr Arbeit – die Erfahrungen einer Beschäftigten bei der Deutschen Post AG

ver.di PUBLIK| Spürst Du als Post-Beschäftigte bereits die Konkurrenz der Privaten?

Susanne Kiesel | Ja, die Sendungsmengen gehen zurück, auch durch die Privaten. Dafür haben wir immer mehr Infopost und Werbung, die vom Porto nicht voll bezahlt werden. Die Post hat weniger Einnahmen, aber wir müssen mindestens genauso viel schleppen wie vorher.

ver.di PUBLIK| Eure Arbeitsbelastung hat sich also nicht geändert?

Kiesel | Sie ist größer geworden. Wir müssen mindestens das Doppelte schaffen im Vergleich zu früher. Auch bei uns sind schon hunderte von Arbeitsplätzen wegrationalisiert worden.

ver.di PUBLIK | Was erwartest Du von der Freigabe des Postmonopols?

Kiesel | Postchef Zumwinckel hat erklärt, dass 32000 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Wir haben Angst vor tariflosen Zuständen und Armutslöhnen wie sie bei vielen Privaten üblich sind. Hier im Briefzentrum arbeiten schon jetzt fast nur Teilzeitbeschäftigte, Neue nur befristet. Auch in der Zustellung sollen die Vollzeitstellen wegfallen. Interview: S. Leuckfeld

Beschäftigungsbedingungen bei den neuen Briefdienstleistern

Durchschnittlicher Stundenlohn in

Westdeutschland: 7,00 Euro

Ostdeutschland: 5,90 Euro

Zum Vergleich: Ein Zusteller der Deutschen Post AG erhält als

Einstiegslohn 11,84 Euro

die Löhne der neuen Briefdienste liegen also im Durchschnitt rund 40 Prozent unter dem Tarifniveau der Deutschen Post AG.

Quelle: Input Consulting GmbH