Thomas Schmidt ist Betriebsratsvorsitzender der Neckermann Logistik GmbH, die kurz vor dem Verkauf steht. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen streitet er seit über einem Jahr mit der Aktion "Hände weg vom Kugelschreiber!" dafür, dass es keine Unterschrift unter Arbeitsverträge mit verschlechterten Bedingungen gibt

Von Ulla Lessmann

"Von unten, aus Beteiligung heraus, nicht von oben, schon gar nicht von der Kanzel herab."

Die Lage ist ernst, keine Frage. Betrieblich, tariflich, global. Dennoch wird gelacht bei der Betriebsausschusssitzung des Betriebsrates der Neckermann Logistik in Frankfurt. Das liegt auch am Vorsitzenden Thomas Schmidt, der frei spricht, anschaulich die Themen zusammenfasst, mit seinen vier Kolleginnen und einem Kollegen lebhaft diskutiert, Tagesordnung oder Rednerliste gibt es nicht. Es geht locker, aber ernsthaft zu, als die Strategie für ein Gespräch mit der Geschäftsleitung abgestimmt wird: "Sie geben uns nichts von sich aus, wir müssen wissen: Was ist unser Preis?" Der große blonde Mann mit den kräftigen Zügen, 48 Jahre, hört zu, fragt nach, regt an, lässt sich überzeugen. Man redet über Probleme beim Leiharbeitereinsatz, Überstunden, Niedriglöhne, die Lage des Hauses.

Dieses Haus ist "mal wieder" ein neues: Seit dem 1. März 2007 sind die beiden Versandhändler Quelle und Neckermann unter dem Dach des KarstadtQuelle-Konzerns, jetzt Arcandor, wieder getrennt. Thomas Schmidt, seit 18 Jahren im Unternehmen, gibt fast amüsiert den Versuch auf, einer Außenstehenden die "unzähligen Restrukturierungen des Konzerns mit Mini-Konzernen im Konzern" zu erklären, und meint: "Das ist derzeit überall so, und wir Belegschaften gelten bloß als Kostenfaktor, den man senken will." Beispielsweise so: Vor gut einem Jahr bot die damalige QuelleNeckermann-Logistik nach einer erneuten Umstrukturierung Verträge mit deutlich schlechteren Konditionen an. Thomas Schmidt listet auf, sein Ton ist sarkastisch: "Senkung des Lohns von 1684 auf 1374 Euro, kein Urlaubsgeld mehr, vier statt sechs Wochen Urlaub, Weihnachtsgeld nur bei Unternehmenserfolg, 42- statt 37,5-Stunden-Woche." Nun geschieht seit einem Jahr Ungewöhnliches: 1323 Menschen aus 60 Nationen, davon 70 Prozent Frauen, "sagen einfach nein". Der Betriebsrat entwarf mit der ver.di-Betriebsgruppe die Kampagne "Hände weg vom Kugelschreiber - Keine Verschlechterungen der Arbeitsverträge", und bis heute nahm keiner den Kugelschreiber in die Hand.

Thomas Schmidt glaubt zu wissen, warum die Leute sich nicht alles gefallen lassen: "Zum einen sagen sie: ‚Wir können uns das gar nicht leisten‘. Zum anderen empfinden sie stark die Respektlosigkeit des Arbeitgebers ihnen gegenüber und sagen: ‚Wir sind schließlich auch wer‘." Dass alle standhaft bleiben, hat mit Vertrauen in den Betriebsrat zu tun, das aus dessen Nähe zu ihnen entsteht: Wöchentlich sind zwei Freigestellte mit einem Betriebsrat, der sich genau auskennt, in einer Abteilung vor Ort. "Auch in der virtuellen Welt gibt es reale Vorgänge", sagt Thomas Schmidt, "beispielsweise Ware, die von Menschen verschickt wird." Jeder kennt hier den Betriebsratsvorsitzenden Thomas Schmidt, und der eine oder andere nimmt ihn beim Gang durch die Kantine schnell mal beiseite. "Wir sind präsent", sagt Schmidt schlicht.

Thomas Schmidt, der Theologie studiert hat, ging Ende der achtziger Jahre zu Neckermann - als Lagerarbeiter. Für ihn war damals die Frage: "Von wo aus verändert sich die Welt?" Und die Antwort, die Thomas Schmidt sich gab, lautete: "Von unten, aus Beteiligung heraus, nicht von oben, schon gar nicht von der Kanzel herab." Hier wollte einer bei den Arbeitenden sein. Damals schwor sich Thomas Schmidt, Arbeitswelt und Kirchenwelt bleiben getrennt. Das eine ist der Ort für sein gewerkschaftliches Engagement, das andere der Ort, aus dem er seine Motivation speist - eine 37,5-Stunden-Woche will schließlich ausgehalten werden. "Aber ich bin hier nicht der Kirchenmann", sagt er und schmunzelt.

Im Büro, das er sich mit seiner Stellvertreterin Gisela Werner und der ersten freigestellten türkischen Betriebsrätin Tülün Nazenin teilt, hängt an der Wand ein Plakat mit lachenden brasilianischen Kindern. Brasilien ist eine zweite Heimat für den Hessen Schmidt, gerade erst im Juni war er beim Landlosen-Kongress in Brasilia. Seit über 20 Jahren engagiert er sich für die dortige Massenbewegung der landlosen Bauern.

Von Befreiungstheologen inspiriert

Warum ausgerechnet Brasilien? "Das war Zufall, ich habe bei den Jesuiten in Frankfurt Theologie studiert und ein Stipendium für Brasilien erhalten", sagt Thomas Schmidt. Dort lernte er eine Gruppe von Befreiungstheologen kennen, unter anderen den Bruder von Leonardo Boff. "Wir haben zusammen in den Slums gearbeitet." Zu den Landlosen kam Thomas Schmidt erst, als er wieder in Deutschland war, um sein Studium zu beenden. Eine Gruppe von engagierten Kirchenleuten bemühte sich, brasilianische und deutsche Gewerkschafter zusammen zu bringen. Das war 1980/1981, die Zeit der großen Streiks in der brasilianischen Automobilindustrie. "Die Metaller haben uns mit auf's Land genommen, damit wir verstehen lernen, wie Brasilien tickt. Dort haben wir die Landbesetzungen erlebt."

Seit damals gibt es einen deutschen Solidaritätskreis für die Landlosen. Schmidt versucht, ihr Anliegen bekannt zu machen, hält Vorträge, fährt zu den Kongressen der europäischen Unterstützer. Er denkt immer in beiden Sphären: lokal - "Die konkreten Alltagsprobleme sind die großen Probleme." Und global - "Ich war kürzlich in Mosambik und Angola. Das ist schon sehr heftig, dieser Kreislauf aus Armut und Krankheit." Das relativiert vieles und schärft immer wieder den Blick für Ungerechtigkeiten: Der Betriebsrat von Neckermann Logistik beteiligt sich an der ver.di-Kampagne für Sozialstandards in asiatischen Textilfabriken. Aus Bangladesh kam denn auch eine Solidaritätsadresse an die Unterschriftsverweigerer in Frankfurt.

Und nun? Die Mehrheit der Neckermann-Gesellschaften ist so gut wie verkauft, an einen amerikanischen Investor. Späterer Börsengang nicht ausgeschlossen, der dann noch mal Geld für Arcandor bringt.

Einstweilen bleiben die Kolleginnen und Kollegen an der Hugo-Junkers-Straße dem Motto einer ihrer Aktionen treu: "Bleib eine harte Nuss! Lass dich nicht knacken."

Thomas Schmidt ist 1959 in der Nähe von Limburg geboren, hörbar ein echter Hesse und aktiver Fan von Eintracht Frankfurt. Er engagiert sich früh in der internationalen katholischen Jugendarbeit und studiert katholische Theologie. Nach einer kurzen Zeit als Kaplan arbeitet er ab 1989 als Lagerarbeiter bei Neckermann. 1994 wird er erstmals in den Betriebsrat gewählt, seit 1998 ist er freigestellt, seit 2002 Betriebsratsvorsitzender. Anfang der 80er Jahre, zur Zeit der großen Streiks und Landbesetzungen, lebt Thomas Schmidt ein Jahr in Brasilien und unterstützt seitdem die Bewegung der landlosen Bauern, "Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra" (MST), die für eine Landreform kämpft. Schmidt ist Sprecher der deutschen Sektion des Solidaritätsnetzwerks der "Freunde der Landlosenbewegung" und vertritt sie auch auf europäischer Ebene.