Auf der Kundgebung in Berlin

Die Konzernspitze will von 83 Callcentern nur noch 24 erhalten. Proteste in Berlin und Gera

von PETRA GROLL

Aus dem ganzen Land sind sie angereist. Hunderte von Beschäftigten wollten den Aufsichtsräten des einstigen Bundesunternehmens zeigen, was sie von den neuerlichen "Umbauplänen" der Konzernspitze halten. Mit Transparenten zogen sie Ende August vor die Hauptstadtrepräsentanz der Telekom, wo sie erstmal vor einem starken Aufgebot der Polizei standen. Die hatte die Straße für den Verkehr gesperrt und bewachte den gläsernen Unternehmenssitz - zusätzlich zum privaten Wachschutz.

Erleben, was verbindet

Während man drinnen die Sitzung des Aufsichtsrats vorbereitete, verschafften die ver.dianer draußen ihrem Ärger und ihrer Verzweiflung Gehör. Denn was Telekom-Vorstand René Obermann der Öffentlichkeit als "Umbau" verkaufen möchte, kommt bei den Beschäftigten als "kalter Rauswurf" an. Nachdem er sich vor einem guten Jahr aus gleichem Anlass einen langen, bundesweiten Streik eingebrockt hatte, will Obermann erneut 6000 Beschäftigte aus der Netzproduktion zu T-Service verlagern, wo sie für weniger Geld länger arbeiten sollen. Außerdem will er im Kundenservice die bundesweit 83 Callcenter auf 24 eindampfen.

Ein sensibler Geschäftsbereich - die direkte Schnittstelle zum Kunden und zugleich Arbeitsplatz vieler Beschäftigter mit Handicap: überdurchschnittlich viele in Teilzeit beschäftigte Frauen, davon viele alleinerziehende Mütter; überdurchschnittlich viele schwer- und schwerstbehinderte Kolleg/innen. "Schäbig und unmoralisch", sagt Manfred Kellermann aus München, sei der neue Plan der Konzernführung, nachdem den Beschäftigten vor zwei Jahren noch moderne und zukunftssichere Arbeitsplätze in den neuen Gesellschaften versprochen worden seien. Allein bei der Kundenniederlassung Süd am Standort München seien 63 Schwer- und Schwerstbehinderte betroffen, 15 Prozent der dortigen Belegschaft. Christina Keppeli aus der Kundenniederlassung Nordost, alleinerziehende Mutter und Teilzeit-Beschäftigte, rechnete vor, wie sie sich mit rund tausend zusätzlichen Kilometern Fahrstrecke pro Woche, den Spritkosten und längeren Fahrzeiten ihren künftigen Alltag vorzustellen hat. "Mein Kind wird mich mit Sie ansprechen!" Für die meisten Beschäftigten ist klar, wenn die Konzernleitung behauptet, es gebe für die Beschäftigten neue Angebote, sei das weniger als guter Schein. Es geht um existenzielle Bedrohung durch den Arbeitgeber.

Protest in Gera

Das Pfeifkonzert in Berlin schwoll noch einmal an, als die Demonstrationsleitung bekanntgab, dass auch in Gera die Telekom-Beschäftigten auf der Straße protestierten. Landesfachbereichsleiter Achim Fischer kritisierte, noch vor einem Jahr habe der Konzernvorstand mit ver.di Leitlinien für den Unternehmensumbau vereinbart. Danach sollte Arbeit in der Fläche gehalten und strukturschwache Gebiete sollten besonders gefördert werden. "Die jetzt ohne Beteiligung der Beschäftigten und ihrer Interessenvertreter ausgearbeiteten Pläne verstoßen eklatant dagegen."

Wie in Thüringen haben Gewerkschafter in vielen betroffenen Kommunen und Bundesländern ihre Beziehungen in die Politik aktiviert. Der Geraer Oberbürgermeister Norbert Vornehm und SPD-Bundestagsmitglied Volker Blumentritt aus Jena-Lobeda haben versprochen, ihren Einfluss auf Bundesebene geltend zu machen. Immerhin ist der Bund mit 31,7 Prozent noch immer stärkster Anteilseigner bei der Deutschen Telekom AG.

Unter Genossen

An diese Adresse wollten sich auch die Vertreter/innen der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat wenden, sagten sie bei der Kundgebung in Berlin. Monika Brandl, Vorsitzende des ver.di-Gewerkschaftsrates, Lothar Schröder, zuständiger ver.di-Bundesvorstand, und Michael Sommer, Ex-Postler, SPD-Mitglied und DGB-Vorsitzender, nahmen ein stärkendes Bad in der protestierenden Menge, bevor sie zur Aufsichtsratssitzung einrückten. Dort trafen sie auch auf Genossen als Vertreter der Anteilseigner: Jörg Asmussen, SPD, der seit 2008 Staatssekretär im Bundesfinanzministerium ist, Hans Martin Bury, SPD, langjähriger Staatsminister im Kanzleramt und Ex-Staatsminister für Europa, Ingrid Matthäus-Maier, SPD, ehemals stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag.

Nach der Aufsichtsratssitzung hieß es, das Gremium stehe mehrheitlich hinter Obermanns Kurs. Zustimmung kam auch aus dem Bundesfinanzministerium. Nur Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) äußerte Kritik: "Man soll nicht glauben, dass all diese Entscheidungen klug bedacht und rational sind", sagte er in Schwerin.