Das Programm zur Nachwuchsförderung Perspektive U 35 fand die Jury ausgezeichnet

Wie andere Familien auch kommen Gewerkschaften nicht an einem Konflikt zwischen den Generationen vorbei. Irgendwann, wenn der Altersunterschied groß genug ist, versteht die eine die andere Generation nicht mehr, im schlimmsten Falle kommt es zu Berührungsängsten. Auch bei ver.di muss man zum Teil völlig verschnarchte Vorurteile über "die Jugend von heute" hören: Angeblich sitzt sie nur am Computer, daddelt und hat mit Politik nichts am Hut. Autsch, das tut weh. Und muss dringend behandelt werden, fanden junge Gewerkschafter aus Stuttgart. "Jeder, der bei ver.di die Augen öffnet, sieht, wie es wirklich ist mit den Jugendlichen", sagt Gewerkschaftssekretär Ivo Garbe. "Das einzige, was ich unserer Generation vorwerfen würde, ist, dass wir es noch nicht in Angriff genommen haben, uns die Gewerkschaft stärker anzueignen."

Copy und Paste!

Dabei geht es um das Aufbrechen "verkrusteter Strukturen", sagt Garbe. Um die gewerkschaftliche Nachwuchsförderung und wer sie mit welchem Konzept in die Hand nehmen sollte. Wenn die alten Gewerkschafter/innen die jungen nicht mehr verstehen, dann muss der Nachwuchs selber ran. Und dann gibt's da ja auch noch den neuen ver.di-Qualitätspreis für die 85 ver.di-Bezirke, hinter dem die Kampagne Chance 2011 steht. Mit ihr arbeitet ver.di an sich selbst: Mitgliederorientierung und die betriebliche Gewerkschaftsarbeit sollen deutlich in den Mittelpunkt rücken. Wer ein gutes Konzept einreicht, dem winkt die Chance auf 7 500 Euro Startkapital und die Möglichkeit, das Konzept auf dem nächsten Bundeskongress vorzustellen und den vielen Delegierten zur Nachahmung zu empfehlen.

Angeregt wurde das Projekt Perspektive U 35 durch die Jugendstudie der IG Metall. Sie stellt unter anderem fest, dass es zwar Bildungsprogramme für Azubis gibt, aber keine für Hoffnungsträger der betrieblichen Interessenvertretung. Was ein späterer Betriebs- oder Personalratsvorsitzender tun muss, will aber gelernt und beizeiten trainiert werden. Eine Analyse ergab weiter, dass sowohl Angebote als auch die Generation der 25- bis 35-Jährigen selbst zu schwach vertreten sind auf dem weiten ver.di-Flur.

Gut investiert

Der Bezirk Stuttgart investierte in ein fundiertes Bildungs- und Schulungsprogramm und übergab das Projekt an Ivo Garbe und Femke Böttger. Die beiden kümmerten sich um kompetente Referent/innen und stemmten ein anspruchsvolles Nachwuchsförderungsprogramm, eine Mischung aus gewerkschaftspolitischer und persönlicher Qualifizierung. Ein gut gemachter Flyer und das Programm verschickten sie als Einladung gezielt an junge Mitglieder, nicht wenige gaben die Rückmeldung, sie seien zum ersten Mal von ver.di eingeladen beziehungsweise angesprochen worden.

Das Programm dauert zwei Jahre und umfasst 15 Bildungseinheiten, die an Wochenenden stattfinden. Es bietet Seminare zu Verteilungsfragen, zur Bedeutung und Arbeit von Gewerkschaften oder etwa zu wirtschafts- und medienpolitischen Themen. Aber man lernt auch Photoshop und InDesign, und anschließend kann man ziemlich coole Drucksachen produzieren, wie die Programm-Flyer zeigen. Besonders viel liegt der Gruppe an den fachbereichsübergreifenden Aktionen, Demos und konkreten Starthilfen, etwa bei Betriebsratswahlen, die sie gestemmt haben und weiter verfolgen wollen. Martina Boll, 32, aus Stuttgart, ist von Perspektive U 35 begeistert. Sie ist Studentin und arbeitet nebenher bei H&M, an den aktuellen Streiks ist sie beteiligt: "Inzwischen bin ich hier die Infoquelle für die Kolleg/innen. Je mehr man mit ver.di zu tun hat, desto mehr kriegt man mit." Auch sie hält nichts von alten Hierarchien: "Jemand, der 30 Jahre bei ver.di ist, spricht niemanden an, der jung ist. Wir wollen Teil der Sache sein, aber wir wollen unser ,Mehr' einbringen." Das setzt die Gruppe zukünftig mit vielen Aktionen, Workshops und Filmvorführungen um und bereichert so die Arbeit des Bezirks. Alle Termine unter: http://stuttgart.verdi.de