Die Beschäftigten in Deutschlands Bibliotheken sind stolz auf ihre gesellschaftspolitisch wichtige Tätigkeit, aber unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen

Welche Kultureinrichtungen haben die meisten Besucher? Kinos? Falsch! Bibliotheken sind die am stärksten genutzten Kultureinrichtungen Deutschlands: Jährlich kommen 200 Millionen Menschen dorthin; einen Film auf einer Großleinwand schauen sich dagegen weniger als 150 Millionen Leute an. Das ist kein Wunder: Der Eintritt in Bibliotheken ist kostenlos und jeder ist willkommen. Wer möchte, erhält Unterstützung und Beratung, aber man kann genauso gut auch alleine stöbern. Das Angebot ist riesig und reicht vom Comic bis zum Geschichtsbuch, von der Musik-CD über Strickmusterhefte bis zum Internetanschluss. Anders als in anderen Bildungseinrichtungen sind Migrant/innen in Bibliotheken nicht unterrepräsentiert - bei Kindern und Jugendlichen ist ihr Anteil sogar überdurchschnittlich hoch.

Über 80 Prozent weibliche Beschäftigte

Aus all diesen Gründen sind Bibliotheken gesellschaftspolitisch extrem wichtig. Das ist den Menschen, die dort arbeiten, sehr bewusst - und sie sind zum Großteil stolz darauf und fühlen sich mit ihrem Beruf sehr verbunden. Auch die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen bewerten sie überwiegend als sehr positiv. In diesem Sinne beurteilen sie ihre Tätigkeit als "gute Arbeit". Doch ansonsten sieht es mit der Zufriedenheit der zu über 80 Prozent weiblichen Bibliotheksbeschäftigten deutlich schlechter aus als in anderen Dienstleistungsbereichen. Fast alle vermissen Aufstiegsmöglichkeiten, besonders krass sieht es in dieser Hinsicht in wissenschaftlichen Institutionen aus. Auch ihr Einkommen erscheint ihnen angesichts der geleisteten Arbeit als völlig unzureichend.

Das alles geht aus einer Umfrage hervor, die die verdi-Arbeitsgruppe Archive, Bibliotheken und Dokumentationseinrichtungen in diesem Frühjahr vorgenommen hat. Über 1220 Bibliotheksbeschäftigte haben sich daran beteiligt - Gewerkschaftsmitglieder ebenso wie Nicht-Organisierte. Ziel war es, mit Hilfe des DGB-Index "Gute Arbeit" herauszufinden, wie die Betroffenen selbst ihre Tätigkeit einschätzen und erleben. Gefragt wird zum Beispiel: "Können Sie Ihre Arbeit selbstständig planen und einteilen?" oder "Kommt es vor, dass Sie Abstriche bei der Qualität Ihrer Arbeit machen müssen, um Ihr Pensum zu schaffen?" Auch die Bedeutung von Überstunden, Fragen nach der Sinnhaftigkeit der Tätigkeiten und Gesundheitsschutz kommen zur Sprache. Alles zusammengerechnet schneiden Bibliotheken als Arbeitsorte unterdurchschnittlich ab und schaffen es trotz ihrer unzweifelhaften gesellschaftlichen Nützlichkeit nur ins untere Mittelfeld.

Nachwuchsmangel ist programmiert

Zu der negativen Einschätzung beigetragen haben auch die Kürzungen der vergangenen Jahre. In mehr als der Hälfte der kommunalen Bibliotheken wurde in den letzten Jahren massiv gespart, die Zahl befristeter Stellen hat deutlich zugenommen. Die Auswertungen belegen, dass sich das in den betroffenen Institutionen negativ auf das Gefühl von Arbeitsplatzsicherheit, den Informationsfluss und die Möglichkeiten zur Kreativität niedergeschlagen hat.

Angesichts der Tatsache, dass bald in vielen Bereichen Nachwuchsmangel herrschen wird, muss hier dringend etwas geschehen. Dazu gehört nicht nur eine Verbesserung der Ausbildung, die sogar ein Drittel der Unter-35-Jährigen als wenig alltagsrelevant einschätzt. Vor allem bei den Aufstiegsmöglichkeiten und der Bezahlung besteht hoher Handlungsbedarf. Immerhin: Die Bibliotheksverbände haben deutliches Interesse an den ver.di-Ergebnissen signalisiert. Annette Jensen

www.verdi-gute-arbeit.de