Im ersten Lehrjahr haben wir Staub gewischt

Christine Laß, 61, machte Mitte der 60er Jahre in der DDR ihre Ausbildung zur Krankenschwester, heute lehrt und arbeitet sie auf einer Intensivstation im Krankenhaus in Wolgast

Wir waren damals drei Ausbildungsklassen à 20 Mädchen, Jungs waren nicht dabei. Der Schichtalltag war für uns auch damals schon stressig, aber er hat uns nicht geschadet. Wir waren heilfroh, wenn wir mal sonntags arbeiten durften oder am Wochenende, weil das gut bezahlt wurde. 68 Ostmark haben wir damals im Monat bekommen, und für einen Sonntagsdienst noch mal acht Mark dazu.

Kontrollen mit weißen Handschuhen

Im ersten Lehrjahr durften wir an den Patienten nicht groß was machen, vielleicht mal zum EKG oder zum Röntgen fahren. Ansonsten wurde im ersten Lehrjahr grundsätzlich Staub gewischt. Das haben wir von der Pike auf gelernt, und es wurde auch ziemlich hart kontrolliert - mit weißen Handschuhen! Insgesamt hatten wir eine gute theoretische Ausbildung, eine gute praktische und auch pädagogische Anleitung und zwei feste Praxisanleiter, die nur für uns zuständig waren. Wir hatten auch einen eigenen Praxisraum, in dem sie mit uns das Bettenmachen und Waschen der Patienten geübt haben. Mittlerweile wird dafür nicht mehr genug Personal freigestellt, das wird alles gleich auf der Station gemacht. Die Praxisanleiter bemühen sich zwar heute auch, aber sie können sich eben nicht zerteilen zwischen Dienst und Anleitung.

Nach meiner Ausbildung habe ich sofort eine Stelle auf einer Wachstation bekommen, obwohl ich bereits schwanger war. Ich habe auch gleich in drei Schichten gearbeitet, aber ohne Überstunden. Die Besetzung war sehr gut auf der Station, da wurde damals noch drauf geachtet. Auf meiner Station waren wir ein zusammengewürfelter Haufen aus der ganzen DDR, das war aber gut, die Arbeit hat Spaß gemacht. Es ist so schade, dass heute nicht alle dort übernommen werden, wo sie gelernt haben. Wir haben selbst eine Krankenpflegeschule im Haus, wo von 20 Schülern sechs übernommen werden - vielleicht. Und dann auch nur als Schwangerschaftsvertretung oder für ein Vierteljahr, auf alle Fälle befristet.

Für diejenigen, die Stress haben und lange im Schichtdienst arbeiten, sollte ver.di wieder für eine Rente ab 60 kämpfen. Umso mehr junge Leute kann man nachziehen und einstellen, damit nicht alle abwandern. Außerdem kann man den anstrengenden Arbeitsalltag von Krankenpflegekräften gar nicht bis 67 ausfüllen. Die Belastung ist allein durch den Schichtdienst ziemlich hoch, und viele gehen früher, wenn es möglich ist. Dadurch gibt es dann den viel beschworenen Fachkräftemangel im Krankenhaus - das ist eine Kette ohne Ende. Man könnte also durch Senkung des Renteneintrittsalters zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Jungen hätten Arbeit, und die Alten könnten sich noch ein paar schöne Tage machen.


Wir laufen rund acht Kilometer in einer Schicht

Franka Schauerhammer, 23, ist im 3. Ausbildungsjahr zur Krankenpflegerin und Jugendauszubildendenvertreterin im Krankenhaus in Wolgast

Am ersten Tag wurde uns, den neuen 25 Auszubildenden, das Krankenhaus mit allen Stationen und das Schwesternwohnheim gezeigt. Das ist sehr praktisch, da laufe ich 50 Meter und bin schon im Krankenhaus oder zuhause. Jeder hat sein eigenes Zimmer mit 23 Quadratmetern und WC, die Küche teilen wir uns.

Ein typischer Ausbildungstag fängt am frühen Morgen mit der Dienstübergabe und dem morgendlichen Waschen der Patienten an. Dann wird Essen ausgeteilt, im Anschluss wird alles wieder abgeräumt, gesäubert und desinfiziert. Typische Azubi-Aufgaben sind auch Vitalzeichenkontrollen, also das Messen von Blutdruck, Puls und Temperatur, Blutzuckerkontrollen, Insulin-Injektionen und das Wechseln von Windeln. Man hat kurz Kontakt zu den Patienten und trägt alles in die Akten ein. Dann ist es Mittag und das ganze Prozedere mit Essen austeilen und wieder einsammeln fängt von vorne an. Zwischendurch muss man die Patienten betreuen, wenn jemand klingelt oder wenn besondere Untersuchungen laufen. Als Azubi sitzt man eigentlich nie. Einem von uns haben wir mal einen Schrittzähler an die Socke geklemmt - danach kommen wir auf acht Kilometer pro Schicht und haben es sogar noch gut! Ich habe durch ver.di bundesweit Kontakt zu anderen Azubis und Fachkräften, die stöhnen noch viel mehr über hohe Fluktuation und Überstunden.

1500 Stunden Theorie, 1800 Stunden Praxis

Vor allem die Patientenzahl pro Pflegekraft hat enorm zugenommen, auch der Pflegeprozess hat sich verändert. Früher gab es die sogenannte Funktionspflege, das heißt, jede Schwester ist von vorne nach hinten 13 Zimmer durchgerannt und kannte jeden Patienten - und pro Station sind das 30 bis 35 Patienten. Heute sind alle Pflegekräfte und Auszubildenden einem bestimmten Stationsbereich zugeordnet. Man kann sagen, wir Azubis machen die Arbeiten draußen am Patienten und die Schwestern sind eher im Stationszimmer.

Wir haben für insgesamt 72 Azubis zwei Praxisanleiter und die haben jeweils nur eine halbe Stelle. Wir haben 1500 Stunden Theorie und 1800 Stunden Praxis, aber gerade in der Praxis fühlen sich die Azubis nicht genug angeleitet, vor allem nicht von hauptamtlichen Ausbildern. In deren Fokus liegen immer nur Azubis kurz vor den Prüfungen, die im 1. und 2. Lehrjahr fühlen sich benachteiligt. Mir persönlich kommt die Theorie noch zu kurz. Wenn man alltäglich in der Praxis arbeitet und dort eine hohe Verantwortung trägt, sollte man schon genau wissen, warum man gewisse Sachen tut. Man muss den entsprechenden medizinischen Hintergrund haben.

Wir lernen hier in einem kleinen Haus und es ist sehr familiär bei uns, jeder kennt jeden. Ich kann jede Schwester ansprechen, wenn ich eine Frage habe. Und sie beantworten mir die Fragen so gut es geht und weisen mich auch in bestimmte Tätigkeiten ein. Aber im Krankenpflegegesetz müsste sich dennoch etwas ändern, weil Anforderungslernziel und Praxisanleitung ungenau definiert sind. Die Krankenpflegeausbildung benötigt einen einheitlichen Qualitätsstandard. Außerdem haben wir derzeit nur geringe Übernahmechancen. Viele wandern ab oder arbeiten sehr schlecht bezahlt in privaten Pflegediensten. Wir streiten momentan für ein weiteres Pflegeförderprogramm, um auch junge Leute unbefristet übernehmen zu können - denn als examinierte Krankenschwester ohne Berufserfahrung hast du es total schwer auf dem Arbeitsmarkt.


2-Megabit-Leitungen in Betrieb nehmen ist cool

Marleen Wesarg, 25, hat bei der Telekom IT-Systemelektronikerin gelernt, heute lehrt und arbeitet sie dort als Monteurin und Ausbilderin

An meinem ersten Tag begrüßte uns die Leiterin der Berufsbildung und erklärte uns die wichtigsten organisatorischen Dinge, dann bekamen wir unsere Ausbilder zugewiesen. Mit denen konnten wir sogar verhandeln, wann wir anfangen wollen. Und wir hatten noch die 34-Stunden-Woche, inzwischen arbeiten wir 38 Stunden.

Im ersten Ausbildungsjahr war ich beim technischen Service und da ging es eigentlich nur darum, Leitungen zu schalten und Router beim Privatkunden einzurichten. Aber letzteres war eher seltener und meistens habe ich nur zugeguckt oder Handlangertätigkeiten gemacht. Zum Schluss, als ich dann Routine hatte, durfte ich auch mal alleine was machen, und der Ausbilder hat daneben gestanden. Bei den Betriebseinsätzen waren wir immer jeweils einer Betriebskraft zugeordnet und mussten so lange arbeiten wie sie.

Obwohl ich ja einen technischen Beruf gelernt habe, fand ich es auch ganz interessant, mal zu erfahren, wie das im T-Punkt so läuft. Da war ich dann von neun bis 18 Uhr abends. Das war wirklich anstrengend, und auch die Betreuung war nicht besonders. Morgens musste ich erst mal überall Staub wischen. Danach guckte ich den Verkäufern zu und musste Kunden beraten, die Fragen zu ihren Rechnungen hatten. Im Zweifel musste ich selbst bei der Hotline anrufen. Im dritten Ausbildungsjahr war ich im technischen Service für Geschäftskunden. Das war eigentlich das Coolste von allen. Da ging es darum, 2-Megabit-Leitungen in Betrieb zu nehmen, also mit Router anschließen und Durchmessen und allem. Da hatte ich eine echt gute Betriebskraft, die mir das super erklärt hat. Bei der habe ich dann auch meine Abschlussprüfung geschrieben.

Selbstständig lernen

Mittlerweile bin ich mit der Ausbildung fertig. Wenn ich zurückdenke, habe ich mich herausgefordert gefühlt und das auch positiv empfunden. Unsere Ausbilder damals sollten uns beibringen, selbstständig zu lernen. Selbst die 16-Jährigen in unserer Gruppe konnten theoretisch machen, was sie wollten. Dadurch hat ihnen aber auch Struktur gefehlt. Durch das Abitur war ich viel eigenständiger, deshalb habe ich mich ganz gut aufgehoben gefühlt. Aber ich weiß, dass es für viele andere auch jetzt noch ein Problem ist, so zu lernen.

Bei uns war ein Ausbilder für sieben Auszubildende zuständig und konnte uns gut anleiten. Heute hat unser technischer Ausbilder von damals kaufmännische Auszubildende - das ist ein Feld, in dem er selber gar nicht drinsteckt. Früher in der DDR war da alles wesentlich stärker strukturiert und die spätere Festanstellung keine Frage. Uns wurde am Anfang gesagt, eine Übernahme könnten wir vergessen - am Ende wurden dann doch 70 bis 80 Prozent übernommen. Auch ich hatte Glück und bin in diese Beschäftigungsbrücke reingerutscht. Dadurch wurde ich allerdings in eine Entgeltgruppe eingruppiert, die pauschal für alle Nachwuchskräfte galt. Also egal, was ich eigentlich machte, ich hatte immer die Gruppe drei und davon auch nur 80 Prozent. Das war für mich ganz schwierig. Mittlerweile wurde die Pauschale aber aufgehoben und ich bin anders eingruppiert.


Mein erstes Kabel hatte 1000 Doppeladern

Ulrich Kostrzewa, 56, machte Anfang der 70er Jahre seine Ausbildung zum Facharbeiter für Nachrichtentechnik bei der Deutschen Post in der DDR und arbeitet heute für die Telekom in Wernigerode

Unser Ausbildungszentrum mit integriertem Wohnheim sowie Lehrwerkstätten und entsprechendem Werkzeug haben wir vorab in Halle-Neustadt besichtigt und sind dann im September 1971 zur Ausbildung angereist. Wir waren im Wohnheim jeweils zu viert in einem Zimmer untergebracht, Waschbecken und Duschen lagen im Hausflur.

Zur Vorausbildung ins Militärlager

In den ersten zwei Wochen kamen wir in ein sogenanntes "GST-Lager" zur vormilitärischen Ausbildung. GST steht für "Gesellschaft für Sport und Technik". Schießen lernen, marschieren üben, Zelt aufbauen - diese "Vorausbildung" mussten damals alle neuen Lehrlinge machen. Im Anschluss begann die eigentliche Lehre im stetigen Wechsel zwischen Schulunterricht und Praxis in der Lehrwerkstatt. Die theoretische Ausbildung dauerte insgesamt zwei Jahre mit anschließender Hausarbeit, dazu kam der praktische Teil zwischen den Unterrichtswochen und in den Schulferien - insgesamt also zweieinhalb Jahre Lehre. Zusammen mit den Facharbeitern haben wir im Außendienst übliche nachrichtentechnische Arbeiten erledigt, vor allem im letzten halben Jahr Praxis nach der theoretischen Ausbildung. Unsere Ausbilder waren richtige Lehrkräfte und jeder von ihnen betreute rund 25 Lehrlinge.

An einem typischen Ausbildungstag hatten wir etwa acht Stunden Unterricht - damals noch in Staatsbürgerkunde, aber auch in Mathematik, Deutsch, Elektronik oder Netztechnik. In den Praxiswochen haben wir als Erstes Kupferkabel behandelt und im ersten Halbjahr gelernt, wie man sie vorbereitet, schweißt und montiert. Ich erinnere mich noch genau an mein erstes Kabel, das hatte 1000 Doppeladern! Wir haben es in einer Woche nicht geschafft, es zu montieren.

Nach erfolgreicher Lehre war ein langfristiges Arbeitsverhältnis im bisherigen Ausbildungsbetrieb keine Frage. Wir wurden alle übernommen und sogar in der Nähe unseres Wohnortes eingesetzt. Das ist natürlich heute nicht mehr so, wo jeder um einen Arbeitsplatz kämpfen muss, der dann oft nicht am bisherigen Wohnort liegt. Ich habe jetzt zum Beispiel einen jungen Facharbeiter aus Mecklenburg-Vorpommern. Der hat sich nach seiner Ausbildung bundesweit beworben und ist dann hier bei uns gelandet.

Heute ist die Telekom ein börsennotiertes Unternehmen und von der Post getrennt. Ich habe den Eindruck, dass Auszubildende mittlerweile nicht mehr so an die Hand genommen werden. Früher hatten wir zum Beispiel sogar Erzieher in unserem Wohnheim, da betraf die Ausbildung fast das gesamte Leben. Man war in seiner Freizeitgestaltung und vielleicht auch Selbstverwirklichung zwar nicht ganz so frei wie heute, wo Jugendliche sogar ihre Arbeitsbereiche oder Hausarbeitsthemen mitbestimmen können. Als 16-Jähriger empfand ich es aber als eher positiv, dass wir Azubis eben nicht komplett auf uns allein gestellt waren.