Sie können es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, dass Nazis durch die Stadt laufen und die Geschichte leugnen. Antifa-Aktivist/innen wehren sich gegen Strafverfahren und Handy-Abfragen

"Sie werden beschuldigt, am 19. 2. 2011 in Dresden, Fritz-Löffler-Straße Ecke Reichenbachstraße gemeinschaftlich mit anderen Personen eine genehmigte Demonstration blockiert und diese damit verhindert zu haben." Mit diesem Satz beginnt ein Brief, in dem die Polizeidirektion Dresden mindestens 70 Menschen Anfang April mitteilte, dass ein Strafverfahren gegen sie läuft. All diese Menschen hatten am 19. Februar mit ihrer Blockade erfolgreich gegen den größten Naziaufmarsch Europas protestiert, den die Rechten alljährlich im "Gedenken an die Opfer der Alliierten" veranstalten.

Auch nach mehrmaligen Aufforderungen durch die Polizei löste sich die friedliche Blockade an der Reichenbachstraße nicht auf. Die Polizei drohte damit, den Platz zu räumen, zwei Wasserwerfer standen bereit. Auf der Kreuzung spielten junge Menschen Karten, Aktive von ver.di standen einträchtig neben Dresdener Familien, ältere Ehepaare neben Studierenden und Antifa-Leuten. Sie kamen aus Dresden, aus Sachsen, Thüringen oder Berlin. Die Polizei räumte nicht. Sie zog einen Kessel um die Blockierer/innen - von den rund 400 Demonstrant/innen gelang es 250 aus diesem Kessel auszubrechen. Von allen Verbliebenen wurden die Personalien aufgenommen. Gegen sie ermittelt nun die Dresdener Staatsanwaltschaft wegen des Verstoßes gegen Paragraph 21 des sächsischen Versammlungsgesetzes. Dort heißt es: "Wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Die Staatsanwaltschaft fragte darüberhinaus rund eine Million Verbindungsdaten von Handynutzern ab.

Ziviler Ungehorsam ist legitim

Kristin Pietrzyk vertritt mehrere der Betroffene in dem jetzt anhängigen Verfahren. Sie geht davon aus, dass ihnen eine Geldstrafe droht. "Die sächsische Staatsanwaltschaft kriminalisiert jetzt ohne Grund Menschen, die es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren konnten, dass Nazis durch die Stadt laufen und die Geschichte leugnen", kritisiert die Rechtsanwältin. "Damit zeigt sie eine Law-and-Order-Mentalität, die sehr rechtslastig aussieht." Noch im vergangenen Jahr sah die Dresdener Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der Blockierer/innen ab. Doch im Januar erklärte das Verwaltungsgericht der Stadt die Blockaden vom letzten Jahr für verfassungswidrig. Pietrzyk ist empört. "In Sachsen schafft man ein politisches Klima, das jetzt auf Strafverfolgung setzt. Und alle gehen einer politischen Diskussion über den Umgang mit Naziaufmärschen aus dem Weg."

Nicht so die ver.di Jugend. Auf ihrer letzten Bundesjugendkonferenz Mitte Mai in Berlin verabschiedete sie mehrere Anträge, die sich mit Aktionen des zivilen Ungehorsams, zu denen auch Blockaden gehören, auseinandersetzen. "Wir halten Aktionen des zivilen Ungehorsams wie die Blockaden in Dresden für legitime Mittel in gesellschaftlichen und auch in betrieblichen Auseinandersetzungen", erklärt Jan Duschek, Jugendreferent bei ver.di.

Der ver.di-Bundesvorstand prüft derweil rechtliche Schritte gegen die Handy-Abfragen. "Wir haben mit dem Bezirk vor Ort am 19. Februar eine gemeinsame Landesvorstandssitzung unter freiem Himmel abgehalten", sagt Susanne Stumpenhusen, ver.di-Landesbezirksleiterin in Berlin-Brandenburg. Und: "Es geht die Polizei und Staatsanwaltschaft überhaupt nichts an, mit wem wir dort kommuniziert haben." K. Flothmann