Ich habe einen Musiklehrer, der davon träumt, für die zukünftigen Rentner den ersten Bandkeller in einem Altersheim zu eröffnen. Was den Bewohnern heute die Bowlingbahn ist, soll ein Plätzchen zum Jammen werden. Mit eben diesem Lehrer und einigen Mitschülern gehe ich jeden Donnerstag in das Braunschweiger Altersheim Marienstift direkt neben unserer Schule, um mit den Bewohnern zu singen. Da werden bereits die Rollstuhlfahrenden in den Saal begleitet, Notenständer aufgebaut und Liederbücher in Großdruck ausgeteilt.

Eine alte Dame erhebt sich, kommt mit ihrem Rollator herbeigerollt. Und wie fast jedes Mal erzählt sie mit erstaunlich lauter Stimme einen Witz. Seit langem schon gehört die alte Dame fest zum Repertoire. Es hat mich sehr bestürzt, dass sie plötzlich verstorben ist. Man kennt ihn, den Kreislauf des Lebens, aber gewöhnen kann man sich trotzdem nicht an ihn. Dennoch beginnt fröhlich das Singen: Deutsche Volkslieder sind am beliebtesten. Wenn alle Brünnlein fließen gehört zu den ungeschlagenen Favoriten.

Mich fasziniert die Vorstellung, wie diese Menschen, als sie noch jung waren, diese Lieder, vielleicht mit Familie oder Freunden gesungen haben. Sie selbst haben sich verändert über die Jahre, aber was gleich geblieben ist, ist die Liebe zur Musik. Aber hier wird nicht nur im Paralleluniversum der Nostalgie geschwelgt, sondern am Puls der Zeit geblieben. Wir schmettern die Fußballhymne 54, 74, 90, 2010 von den Sportfreunden Stiller oder lernen gänzlich neue Songs. Beliebt ist auch immer wieder der kleine grüne Kaktus.

Ihr Alltag geht weiter...

Wie überall liegt zu dieser Zeit der Fokus natürlich auf Weihnachten, schließlich haben wir noch viel vor mit unseren alten Freunden. Bald steht wieder eine offene Probe an, um punktgenau mit klassischen und unbekannteren Weihnachtsstücken zu brillieren. Meinem Lehrer zufolge kann man in jedem Alter neue Lieder lernen, das erweitert nicht nur den musikalischen Horizont.

Schließlich folgt das Highlight des Nachmittags, der Sitztanz. Auch wenn man nicht mehr gehen kann, muss man ja nicht aufhören zu tanzen. Thema ist jetzt der Herbst. Also wird fleißig mit den Füßen durchs Laub geraschelt oder wie ein Baum im Wind mit den Armen geschwenkt, stets zu schicker Musik.

Zum Abschluss singen wir noch Kein schöner Land in dieser Zeit. Dies ist der berührendste Moment des Nachmittags, alle nehmen sich bei den Händen, obwohl man nicht sicher sein kann, ob der Nebenmann sich überhaupt noch an einen erinnern kann.

Schon ist der Singkreis vorüber. Die Bewohner werden zurück in ihre Zimmer, an den Kaffeetisch oder, wenn sie mögen, in den herbstbunten Garten gebracht. Ihr Alltag geht weiter, aber ich kann ihn mir unmöglich vorstellen. Eine Dame erzählte mir, dass es ihr dort sehr gut gefalle. Sie ist in Gemeinschaft, das Essen ist gut, und sie muss nicht mehr putzen. Langweilig? Ach nein, es gibt so viele Angebote, dass sie sich eher bemühen muss, ein ruhiges Plätzchen zu finden.

Sie hat alles, was sie braucht, und es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass Musik und man selbst zu diesen Dingen gehört. Feline Mansch