Das ver.di-Modell aus Altersteilzeit und Zeitwertkonto im spektakulären Tarifvertrag mit der Deutschen Post AG ermöglicht eine Rente ohne Abschläge und eine Jugend mit Zukunft

Alters- und alternsgerechte Arbeit bei der Deutschen Post, auch ganz im Norden auf den Halligen

von Karin Flothmann

"Mit diesem Tarifvertrag zum alters- und alternsgerechten Arbeiten betreten wir tarifpolitisches Neuland", sagt Andrea Kocsis. "Mit ihm wird es den Kolleginnen und Kollegen bei der Post ermöglicht, gesund und ohne Abschläge in Rente zu gehen." Und die stellvertretende ver.di-Bundesvorsitzende ergänzt: "Was wir hier hinbekommen haben, ist das Ergebnis unserer Stärke, unserer Mächtigkeit." Die rund 200 Betriebsrats- und Betriebsgruppenvorsitzenden der Deutschen Post AG, die sich Anfang November in der Bundeszentrale von ver.di in Berlin treffen, applaudieren begeistert. Sie alle sind gekommen, um sich das offenbar beispielhafte Tarifwerk erläutern zu lassen. Und das macht Sinn. Denn: "Das Tarifergebnis ist zwar super", sagt auch Stephan Teuscher, der die Verhandlungen von Seiten ver.dis führte, "aber es hat auch einen Nachteil: Es ist etwas kompliziert." Und dann macht er sich daran, seinen Kolleginnen und Kollegen das komplexe Werk aus zwei Tarifverträgen zu erläutern. Als Generationenvertrag angelegt, ist darin zum Beispiel festgeschrieben, dass alle 2 580 Auszubildenden der Post unbefristet übernommen werden. Betriebsbedingte Kündigungen und Änderungskündigungen sind bis zum Jahr 2015 ausgeschlossen. Ebenfalls so lange ausgeschlossen sind die Fremdvergabe von Briefdienstleistungen und weitere Fremdvergaben bei der Paketsparte. "Das ist sozusagen ein Ausgründungs-Verbot", sagt Kocsis.

Premiere des Kombimodells

Doch der Hauptaspekt der neuen Tarifverträge, die zum 1. November in Kraft getreten sind, ist ein Kombimodell aus Altersteilzeit und Zeitwertkonto, das auch zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf genutzt werden kann. Zurzeit, so Teuscher, gehen viele Postler vor dem offiziellen Rentenbeginn in Rente. Und das bringt Abschläge mit sich. "Wer heute mit 63 in Rente geht, verliert ein Viertel bis zu einem Drittel seiner Rentenansprüche", so Teuscher. Gleichzeitig nimmt ab dem 45. Lebensjahr die Leistungsfähigkeit aller Menschen kontinuierlich ab. Daher sollen Beschäftigte der Deutschen Post künftig die Möglichkeit haben, rechtzeitig die Arbeitszeit zu halbieren oder sich ganz freistellen zu lassen, ohne Abschläge bei der Rente hinzunehmen. Sparen müssen sie dafür selbst. Künftig können sie bei der Deutschen Post Geld in einem eigenen Zeitwertkonto anlegen, das insolvenzsicher verzinst wird. Eingezahlt werden können mindestens zwei Prozent und höchstens 30 Prozent des Bruttojahreslohns. Urlaubsgeld, 13. Monatsentgelt und andere Entgelte können ebenfalls angespart werden. Nicht in das Zeitwertkonto eingezahlt werden können Überstunden oder der nicht genommene Urlaub. Denn über allem steht die Prämisse, möglichst gesund zu altern. Für eine Freistellung vor dem Rentenbeginn und aus der Altersteilzeit heraus müssen Beschäftigte, die 1957 und später geboren sind, 55 Entgeltpunkte in ihrem Zeitwertkonto angespart haben - das sind 55 Prozent des Bruttojahresentgelts. Für frühere Jahrgänge gelten niedrigere Werte. In der Freistellung vor der Rente wird das angesparte Geld als Entgelt ausgezahlt - plus einer Aufstockung auf 79 bis zu 87 Prozent des Vollzeitentgelts. Urlaubsgeld, 13. Monatsentgelt und vermögenswirksame Leistungen werden weiterhin von der Deutschen Post AG gezahlt. Außerdem werden weiterhin Beiträge für die Rentenversicherung gezahlt - so dass es bei Renteneintritt zu keinen Abschlägen kommt.

Geld mitnehmen

Genutzt werden kann das Zeitwertkonto aber auch für Freistellungen nach der regulären Elternzeit, im Fall von pflegebedürftigen Familienangehörigen oder für ein Sabbatical. Und eben für die Freistellung im Alter. Scheiden Beschäftigte bei der Post aus, so kann das angesparte Geld zu einem neuen Arbeitgeber mitgenommen, bei der Rentenversicherung gutgeschrieben oder ausbezahlt werden. Letzteres gilt auch im Todesfall, dann geht das Geld an die Erben. Ab dem 59. Lebensjahr können Postler künftig darüber hinaus in Altersteilzeit gehen - und zwar für mindestens zwei, höchstens sechs Jahre. Auch hier wird das 50-Prozent-Entgelt aufgestockt, durch Geld aus dem Demografiefonds. Die Aufstockung richtet sich nach der Entgeltgruppe und damit nach der Höhe des Verdienstes. Wer 2 338,48 Euro oder weniger pro Monat verdiente (EGr. 3 Stufe 7), bekommt eine Aufstockung auf 87 Prozent des ehemaligen Brutto. Wer mehr als 4 425,94 Euro verdient, wird auf 79 Prozent aufgestockt. In den Demografiefonds hat die Deutsche Post AG zum 1. November 2011 einmalig 20 Millionen Euro eingezahlt. Künftig wird sie pro Jahr 200 Euro pro Vollzeit-Beschäftigtem einzahlen.

Ergebnis zum Abgucken

Auf die Betriebsräte der Post kommt jetzt Arbeit zu. Interessierte Beschäftigte können sich bei ihnen künftig beraten lassen, welche Auswirkung das neue Tarifwerk für sie persönlich hat. "Ich werde erstmal prüfen, inwiefern sich dieses Modell auch für unsere Kolleginnen und Kollegen rechnet, die in den niedrigsten Lohngruppen eingruppiert sind", sagt eine Betriebsratsvorsitzende skeptisch. "Unser Abschluss ist in der derzeitigen Tariflandschaft einmalig und kann mit Fug und Recht als Sensation bezeichnet werden", sagt Andrea Kocsis dagegen überzeugt. Und: "Unser Ergebnis hat Strahlkraft. Da können sich auch andere Branchen etwas abgucken."