Täglich erleben die Beschäftigten Druck in ihrem Krankenhaus, dessen Namen sie anonym lassen möchten. Überlastung und Zeitmangel prägen ihren Alltag, oft auch Schikanen durch Vorgesetzte. Doch kaum jemand sagt etwas dagegen. Die Beschäftigten haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, denn einen neuen Job bekommen sie hier nur schwer. Die Region ist ländlich geprägt, die Kreisstadt hat knapp 10.000 Einwohner. Große Firmen gibt es nur wenige.

An diesem Tag hat der Betriebsrat zur Betriebsversammlung eingeladen, um mit den Beschäftigten über die Belastungen im Arbeitsalltag zu reden. Scheue Blicke gehen nach rechts und links, bevor sich die Mitarbeiter/innen setzen. 70 Stühle sind im Foyer aufgestellt. Einige Plätze bleiben leer.

"Die Belastungsgrenze ist längst für alle erreicht. Der Druck muss raus", sagt die Betriebsratsvorsitzende. Einige Beschäftigte flüstern, ihr Abteilungsleiter habe deutlich gemacht, er halte nichts davon, zu der Betriebsversammlung zu gehen. Die trotzdem gekommen sind, haben jetzt Angst vor den Folgen. Aber sie wollen auch, dass sich endlich etwas ändert. Sie wollen gute Arbeit. Der Personalchef, der ebenfalls anwesend ist, sitzt in der letzten Reihe. Was die Veranstaltung bringen soll, will er wissen, und: Das sei ja alles nicht repräsentativ.

Ein vom Betriebsrat bestellter Berater erklärt, heute gehe es auch nicht darum, repräsentative Zahlen zu finden, sondern um einen Einstieg in die Diskussion über die Arbeitsqualität. Man wolle den Finger in die Wunde legen und zeigen, wo im Krankenhaus die Arbeitsbedingungen schlecht sind, was sich verbessern müsse und wie die Arbeit sogar gut werden könne.

Punkt für Punkt

Der Berater hat Plakate mitgebracht und im Gang aufgehängt. Auf den Bögen sind die von der ver.di-Initiative Gute Arbeit entwickelten Wandzeitungen abgebildet. Sie helfen in Betrieben und Dienststellen, Probleme bei den Arbeitsbedingungen sichtbar zu machen und werden inzwischen in vielen Unternehmen aller Branchen erfolgreich eingesetzt.

"ver.di hat diese Beteiligungsmethode entwickelt, um in den Betrieben den Einstieg in das Thema Gute Arbeit zu erleichtern", sagt Karl-Heinz Brandl, der bei ver.di Bereichsleiter für Innovation und Gute Arbeit ist. Die Beschäftigten seien die Experten. "Sie verrichten die Arbeit tagtäglich, deshalb wissen sie auch am besten, was sie stresst und was man besser machen kann." Also sei es sinnvoll, sie zu fragen.

Die Wandzeitung hilft bei der Abfrage. Auch die Kriterien des DGB-Index Gute Arbeit können dazu genutzt werden. Die Ergebnisse lassen sich so mit den repräsentativen Zahlen vom DGB-Index vergleichen. Das ist für einen Branchenvergleich nützlich - und um zu erkennen, was sich langfristig verbessert.

Die Beschäftigten vergeben bei diesem ersten Treffen zunächst Punkte auf der Wandzeitung, um zu markieren, was gute Arbeit für sie bedeutet. Schnell konzentrieren sich die Marker auf ein Thema: gutes Einkommen. Der als gerecht empfundene Lohn ist für alle der wichtigste Indikator für gute Arbeit.

Auf der zweiten Wandzeitung sollen sie ihre Belastungen benennen. Die Wandzeitung ist geschützt in einer Ecke aufgehängt, sodass ihnen niemand über die Schulter schauen kann. Zwei weitere Wandzeitungen widmen sich Vorschlägen zur Verbesserung der Arbeit und Handlungsmöglichkeiten.

Am Ende der Versammlung sagt die Betriebsratsvorsitzende: "Der Anfang ist gemacht. Der Dialog hat begonnen." Jetzt fängt für alle Beteiligten der Prozess an, hin zu guter Arbeit. Die Abfrage ist auch ein Arbeitsauftrag.

Marion Lühring